32. bundesweiter Friedensratschlag in Kassel 8.11.25 – Redemanuskript Workshop
Wirtschaftssanktionen sind in den letzten Jahren erfreulicherweise stärker in den Blick gerückt. Da sie eine zentrale Rolle in den internat. Konflikten spielen, auch dieses Jahr auf dem Ratschlag. Dabei geht es in erster Linie um eigenmächtig verhängte, d.h. nicht von Institutionen wie dem UN-SR, die allein von allen Staaten als dazu legitimiert angesehen werden.
In früheren Workshops kam deutlich heraus, dass solche eigenmächtig verhängten Zwangsmaßnahmen, wie sie in der UNO bezeichnet werden, keine zivile Alternative zum Krieg sind, sondern ökonomische Kriegsführung die eklatant gegen Menschenrechte und Völkerecht verstoßen.
Wir werden das nicht wiederholen. Zwei Publikationen behandeln das ausführlich:
- IALANA: Sanktionen & einseitige Zwangsmaßnahmen – Auswirkungen und völkerrechtliche Grenzen (-> Wiebke)
- IMI-Studie „Arsenal des Faustrechts: Wirtschaftsblockaden, Menschenrechte und der Widerstand des Südens“
Heute soll der Fokus auf die unterschiedliche Bewertung im politischen Westen und im Globalen Süden liegen – und auf den gewachsenen, gemeinsamen Widerstand.
Exemplarisch auch beim Wirtschaftskrieg gegen Syrien, parallel zum militärischen
Zu Beginn: ein Beispiel, das zugleich sehr eindrücklich für das steht, was wir beide pauschal über Sanktionen, über die völkerrechtliche, menschenrechtliche und humanitäre Dimension sagen würden. Das aber zugleich zumindest in seinem Ausgang überrascht und sich eben nicht so klar in das einreiht, was wir als typisch für Wirtschaftssanktionen und ihre Auswirkungen bezeichnen würden.
Syrien:
Nachdem Syrien bereits zuvor unter US-Sanktionen gestanden hatte, verhängten die USA und die EU (neben anderen Ländern) 2011 massive Sanktionen gegen das Land, die in der Folge noch mehrfach (insbesondere durch den Caesar-Act 2019) verschärft wurden und der Bevölkerung großes Leid zufügten. Im Rahmen des Caesar-Act wurden auch Sekundärsanktionen gegen ausländische Unternehmen und humanitäre Akteure sowie deren Mitarbeiter, wenn sie sich im Auftrag der syrischen Regierung am Wiederaufbau der Infrastruktur für das Wohlergehen der Bevölkerung beteiligen, verhängt. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für die negativen Auswirkungen von Sanktionen, Idriss Jazairy, sagte, in Syrien wirkten die Sanktionen verheerender als der Krieg.
Es zeigte sich, in welchem Ausmaß Menschenrechte durch Wirtschaftssanktionen eingeschränkt und missachtet werden. Betroffen sind insbesondere das Recht auf Leben (wie im vergangenen Sommer duch eine Studie im britischen Fachjournal The Lancet nachgewiesen wurde, sind zwischen 1971 und 2021 eine halbe Million Menschen jährlich weltweit wegen Sanktionen ums Leben gekommen): Menschen verhungern, weil sie nicht genug zu Essen haben, sie sterben, weil die Gesundheitsversorgung massiv in Mitleidenschaft gezogen wird, sie sterben auch, weil sie etwa nach einem Erdbeben wegen mangelnder schwerer Fahrzeuge und Arbeitsmaterialien nicht aus den Trümmern gezogen werden können.
Außerdem: Verletzung der Menschenrechte auf angemessene Ernährung und höchstmögliche körperliche und geistige Gesundheit (ein Beispiel: Syrien produzierte vor dem Krieg 90 Prozent seiner Medikamente selbst, was wegen der aufgrund der Sanktionen nicht mehr einführbaren Rohstoffe dann nicht mehr möglich war). Insgesamt werden die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte durch Sanktionen massiv in Mitleidenschaft gezogen. Die Syrien-Sanktionen wurden auch gezielt dazu eingesetzt, den Wiederaufbau des vom Krieg geschundenen Landes zu verhindern.
Wie die meisten anderen Wirtschaftssanktionen und Wirtschaftsblockaden waren auch die Syriensanktionen eindeutig völkerrechtswidrig – weil sie nicht vom UN-Sicherheitsrat verhängt wurden, weil sie gegen das Interventionsverbot verstoßen und weil unter ihnen, wie die Nachfolgerin von Idriss Jazairy, Alena Duhan, ebenfalls in Bezug auf Syrien sagte, die Verwirklichung der Menschenrechte nicht möglich ist.
Und in Syrien zeigte sich viele Jahre auch, was als der Ralley-round-the-flag-Effekt bezeichnet wird. Während die (westlichen) sanktionierenden Staaten behaupten (nicht, dass wir es ihnen glauben würden), durch die Verhängung von Sanktionen eine unterdrückte Zivilbevölkerung schützen und den betreffenden Ländern zu Demokratie und Menschenrechten verhelfen zu wollen, geht es nicht nur faktisch um etwas ganz anderes: die Verwirklichung eigener geopolitischer und wirtschaftlicher Interessen und vielfach (so auch im Fall Syrien) um Regimewechsel. Die Bevölkerung lehnt sich auch in den meisten Fällen eben nicht gegen ihre Regierung auf, die sie – so die Hoffnung der sanktionierenden Staaten – im Angesicht des Leids, das durch die Sanktionen entsteht, stürzen will. Sie rückt vielmehr im Gegenteil näher an ihre Regierung heran, weil sie sehr wohl erkennt, dass derjenige, der das Leid verursacht, von außen kommt (nämlich die Sanktionierenden).
Dieses Bumerang-Merkmal von Sanktionen, das sich vielerorts zeigt, war lange Zeit auch in Syrien zu beobachten, und zwar über viele Jahre.
Aber im vergangenen Dezember stürzten aus dem Westen, den Golfstaaten, der Türkei und Israel zwecks Regimechange unterstützte Terroristen ziemlich überraschend doch noch die Regierung Assad und installierten ein Regime unter dem einst per Kopfgeld (10 Millionen US-Dollar) von den USA gesuchten al-Qaida-Terroristen Abu Muhammad al-Dscholani. Kaum jemand hatte damit noch gerechnet, denn mit der Unterstützung Russlands, des Iran und der libanesischen Hisbollah hatte die syrische Armee große Teile des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht.
Syrien ist kein eindeutiges Gegenbeispiel zu der These, dass Sanktionen das von den sie verhängenden Staaten erwünschte Ziel eigentlich nie erreichen. Denn zum Sturz der syrischen Regierung führten viele Faktoren. Neben der massiven Unterstützung der Dschihadisten aus dem Ausland und dem schwindenden Engagement Russlands in Syrien wegen des Ukrainekriegs ist hier die massive Schwächung der Hisbollah durch den Krieg mit Israel zu nennen. Aber es muss festgehalten werden, dass auch die Sanktionen ihren Anteil hatten – weniger im intendierten Sinne, dass die Bevölkerung ihre Regierung stürzen solle, aber doch dadurch, dass sie durch das jahrelange Leid, das erheblich auch durch die Sanktionen bedingt war, zermürbt wurde und dadurch weniger widerstandsfähig war.
Dass syrische Soldaten in Scharen ihre Uniformen wegwarfen und die Flucht ergriffen, anstatt wie zuvor für ihr Land zu kämpfen, dürfte auch mit diesem Faktor zu tun gehabt haben.
Was in den vergangenen Monaten passiert ist, zeigt auch erneut die Doppelmoral westlicher Sanktionsregime: Schon im Februar, gut zwei Monate nach dem Putsch in Syrien, setzte die EU ihre Sanktionen aus (Banken-, Energie- und Verkehrbereich) – außer diejenigen gegen die Regierung Assad. Man wagte es noch zu sagen, dies geschehe aus humanitären Zwecken – nachdem man die syrische Bevölkerung jahrelang ins Elend gestürzt und humanitären Helfern die Arbeit extrem erschwert hatte
Im Juli hoben auch die USA ihre Syrien-Sanktionen auf (man wolle Wiederaufbau des Landes unterstützen). Das geschah, nachdem die Dscholani-Milizen bereits mehrere Massaker mit Tausenden Toten an Syriens Minderheiten verübt hatten. Auch die USA ließen die Sanktionen gegen die Assad-Regierung in Kraft. Auch die HTS-Miliz wurde wegen der angeblich “positiven Maßnahmen der neuen syrischen Regierung“ von der Terrorliste gestrichen.
Vor zwei Tagen (6.11.25) hat auch der UN-Sicherheitsrat die Syrien-Sanktionen gegen al-Dscholani, der sich seit dem Putsch mit seinem bürgerlichen Namen Ahmad al-Scharaa ansprechen lässt) und seinen Innenminster Anas Hasan Chattab (beide haben schwerste Kriegsverbrechen begangen) aufgehoben (fast einstimmig, einzig China enthielt sich; eingebracht wurde Resolution von USA). Am Montag wird Trump ihn in Washington empfangen. Beide waren vorher mit Reiseverbot, Einfrieren ihrer Vermögenswerte und einem Waffenembargo belegt. Syrien will sich von USA angeführter Koalition gegen IS (etwa 80 Länder) anschließen.
Die Menschenrechts- und Demokratiebilanz der neuen Machthaber in Syrien ist verheerend. Das zählt aber nicht, denn anders als die Regierung Assad, die nie bereit gewesen wäre, die von Israel annektierten Golanhöhen aufzugeben und die sogenannte Achse des Widerstands unterstützt hat, verhandeln sie seit Monaten mit Israel, sehen der fortschreitenden israelischen Besatzung im Land tatenlos zu und werden wahrscheinlich sogar ein sogenanntes Normalisierungsabkommen mit Israel schließen.
Syrien auch Beispiel dafür, dass Sanktionen eigentlich immer von den Staaten des globalen Nordens gegen Staaten des globalen Südens verhängt werden. Immer wirtschaftlich starke gegen wrtschaftich schwächere Staaten, sonst würde es gar nicht funktionieren.
Und meistens geht es darum, die eigenen westlichen Interessen anderen aufzuoktroyieren, ihnen den eigenen Willen aufzuzwingen, sie zu unterjochen (oder zu kolonisieren).
Wirtschaftssanktionen gegen ein Drittel der Menschheit
Die USA haben mittlerweile – allein oder zusammen mit den EU-Staaten – gegen mehr als 40 Länder eigenmächtige Embargomaßnahmen in Kraft gesetzt – faktisch gegen ein Drittel der Menschheit. Die am stärksten betroffenen Länder sind ihnen schon seit Jahrzehnten ausgesetzt: Nordkorea, Kuba, Iran und bis vor kurzem Syrien. Venezuela und Russland kamen vor 10 bzw. 11 Jahren dazu. Afghanistan seit der Machtübernahme der Taliban. mit katastrophalen Auswirkungen.
Gegen diese Länder haben die USA umfassende Wirtschaftsblockaden errichtet. Denen gegen Kuba haben sich die EU-Staaten nicht angeschlossen (müssen deren Umsetzung gemäß dem Anti-Blocking-Statut sogar eigentlich unterbinden) und denen gegen Iran nur teilweise.
Faktisch beteiligen sie sich aber dennoch, da sie und die in der EU ansässigen Unternehmen sich dem Zwang der sog. sekundären oder extraterritorialen Sanktionen unterwerfen, mit denen die USA alle zu erpressen versuchen, US-Embargovorschriften gegen diese Länder einzuhalten.
Handels- und Finanzblockaden
Klassische Maßnahmen sind Handelsrestriktionen, die sich z.B. gegen Export und Import von Rohstoffen, insbes. Öl und Gas richten, häufig auch gegen die Einfuhr höher entwickelte Technologien.
Die wirksamste Waffe der USA sind aber Restriktionen im Finanzbereich. -> beruht auf zentrale Rolle des US-Finanzsystems und des Dollars als Leitwährung für einen großen Teil zwischenstaatlicher Geschäfte -> die effektivste und am universellsten einsetzbar Waffe -> können ausländische Unternehmen und Einzelpersonen treffen, unabhängig davon, wo sie sich befinden. Im Unterschied zu Handelsbeschränkungen entfalten sie auch ohne internationale Unterstützung eine starke Wirkung.
Die eigenmächtigen Zwangsmaßnahmen oder Restriktionen laufen zum guten Teil über Embargo- oder Sperrlisten, auf denen Konzerne und Banken der angegriffenen Länder stehen, wodurch Geschäfte mit diesen genehmigungspflichtig oder gänzlich untersagt werden. Auch Einzelpersonen sind auf den Listen. Diese Listungen geschehen willkürlich, oft nur aufgrund tatsächlicher oder angeblicher Nähe zur jeweiligen Regierung, ohne gerichtliche Verfahren, ohne Möglichkeiten der Verteidigung. Die US-Regierung und die EU-Kommission agieren völlig außerhalb rechtsstaatlicher Normen, sie spielen Ankläger, Richter und Vollstrecker.
Terrorliste
Die USA haben 12.000 Unternehmen und Personen auf ihren Listen.
Das gröbste Instrument im Blockadewerkzeugkasten der USA sind aber die vom Außenministerium geführten Listen von Ländern, die angeblich den Terrorismus fördern. Mit Terrorismus hat das nichts zu tun. Darauf stehen Länder, die Washington als Hauptgegner einstuft, aktuell Iran, Nordkorea, Syrien, Venezuela und Kuba. Im Unterschied zu den Sperrlisten, zielt ein Eintrag hier auf den gesamten Staat. In Zusammenhang mit Zwangsmaßnahmen via Sperrlisten entsteht ein undurchsichtiges Dickicht sehr umfassender Restriktionen mit wirtschaftlicher, rechtlicher wie auch politischer enormer Tragweite. Aus diesem Grund und weil die gesamte Breite der Auswirkungen kaum absehbar ist, vollzieht Washington diesen Akt auch nur bei Staaten, zu denen die USA ohnehin faktisch keine wirtschaftlichen und politische Beziehungen mehr unterhalten. Hier ist das Risiko von Kollateralschäden gering.
Ihre große Wirkung in diesen Fällen entfalten die Blockaden vor allem durch Sekundärsanktionen, mit denen Banken und Unternehmen von Drittstaaten erpresst werden, sich zu beteiligen. Da schwer zu durchschauen ist welche Geschäfte mit welchen Partnern im angegriffenen Land noch risikolos sind, stellen viele ihre Geschäfte mit ihm völlig ein, EU hat Sekundärsanktionen als völkerrechtswidrig verurteilt und gegen ihre Anwendung in der EU eigentlich das sog. Blockade-Statut verabschiedet [, eine „Verordnung zum Schutz von den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte“] das EU-Bürgern und -Unternehmen sogar explizit verbietet extraterritoriale Rechtsvorschriften zu befolgen. Dieses ist aber zahnlos, da die dabei drohenden Strafen gering sind, im Vergleich mit dem was ihnen durch die USA droht ‒ im schlimmsten Fall der Ausschluss aus dem US-Markt und Finanzsystem.
Humanitäre Folgen
[[Blockaden bleiben im Westen meist unterm Radar, trotz teils katastrophaler Auswirkungen. Vor einer guten Woche wurde Kuba wieder von einem verheerenden Hurrikan überrollt. In den Berichten wurde die enorme Knappheit an den für den Wiederaufbau nötigem Materialen auf der Insel erwähnt, aber selten die Ursache. Typisch: wenn über die wirtschaftlichen Probleme, Versorgungsengpässe etc. in Kuba, Venezuela, Nicaragua … berichtet wird, werden sie meist den „Regimes“ angelastet, nicht den Wirtschaftssanktionen. ]]
Der Westen behauptet Maßnahmen gezielt gegen jeweilige „Regime“ einzusetzen. Tatsächlich treffen sie aber stets, sobald sie effektiv sind, das heißt den Handel und die Wirtschaft wirksam einschränken, in erster Linie die Bevölkerung. vor allem deren ärmere, verletzlichsten Teile, d.h. Kinder, ältere und kranken Menschen etc.
Zahlreiche Studien haben den engen Zusammenhang zwischen Umfang und Dauer der Blockaden und dem sinkenden Lebensstandard infolge des Niedergangs der Wirtschaft nachgewiesen. Auswirkungen noch dadurch verschärft, dass es sich meist um Entwicklungsländer handelt. Sie schädigen und hemmen ihre Entwicklung auf Jahrzehnte.
[[- geht immer einher mit sinkender Lebenserwartung, vor allem für ärmere schwächere Teile der Bevölkerung. ]]Durch Vergleich von blockierten mit unbehelligten Ländern, haben Wissenschaftler empirisch berechnet, dass die Lebenserwartung durch Wirtschaftsblockaden im Schnitt pro Jahr um 0,3 Jahre sinkt. Insbesondere steigen Kinder- und Müttersterblichkeit oft dramatisch an.
Anders als Opfer von militärischen Angriffen sind die von Wirtschaftssanktionen nicht direkt sichtbar. Ihre Zahl kann durch Mortalitätsstudien per Haushaltsumfragen ermittelt werden. Mittels so einer Studie im Irak schätzte UNICEF, dass das Irakembargo bis 1998 bereits über 500.000 Kinder das Leben gekostet hat. Insgesamt muss man von weit mehr als einer Million Toten ausgehen, Eine Studie in Venezuela schätzte dass die Blockademaßnahmen der USA und der EU zwischen 2017 und 2018 ca. 40.000 Menschenleben forderten.
Im August 2025 veröffentlichte eine renommierte medizinische Fachzeitschrift die Ergebnisse einer Studie, die die Entwicklung von Mortalitätsraten von betroffenen Ländern zwischen 1971 und 2021 ausgewertet hatte: Demnach sind Wirtschaftssanktionen der USA und der EU durchschnittlich für über 500.000 Todesfälle pro Jahr verantwortlich – so viele, wenn nicht mehr, wie in allen Kriegen zusammen. In Deutschland wurde diese erschreckende Zahl kaum wahrgenommen.
Die Höhe der Zahl hat sicher überrascht. Dass Wirtschaftssanktionen tödlich sind, ist aber seit jeher bekannt. US-Präsident Woodrow Wilson brachte es in einer Rede nach dem Ende des Ersten Weltkrieges auf den Punkt: „Der Krieg ist eine barbarische Sache, […] der Boykott allerdings ein unendlich viel schrecklicheres Kriegsinstrument.“
Und die schädlichen bis tödlichen Auswirkungen auf die Bevölkerung angegriffener Länder sind keinesfalls ein bedauerlicher Nebeneffekt, sondern gehören zum Kalkül. Man will die Menschen so dazu bringen, ihre Regierung unter Druck zu setzen oder noch besser einen Regime Change einzuleiten.
Als die USA mit der Blockade Kubas begannen, hat der damalige stellvertretende US-Außenminister Lester D. Mallory in seinem Memorandum vom April 1960 offen verkündet, dass das Embargo verhängt wurde, um die linke revolutionäre Regierung durch Verelendung der Bevölkerung zu stürzen: „Die Mehrheit der Kubaner unterstützt Castro […] Das einzige denkbare Mittel, um die interne Unterstützung zu erschüttern, ist Enttäuschung und Unzufriedenheit, die auf wirtschaftlicher Unzufriedenheit und Not beruhen […] Jedes mögliche Mittel sollte umgehend ergriffen werden, um das wirtschaftliche Leben Kubas zu schwächen, […] Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung herbeizuführen“. [1]
[Todesopfer werden bewusst in Kauf genommen (-> Madeleine Albright, 1996)]Wirtschaftssanktionen sind eklatante Menschenrechtsverletzungen
In den sanktionierten Ländern steigt die Arbeitslosigkeit, Lebensmittel verteuern sich, es kommt zu einem Mangel an Lebensmitteln und Medikamenten, die Inflation wird durch die Knappheit angeheizt (üblicherweise für Basisgüter weit mehr als für Luxusgüter), das Bruttonationaleinkommen sinkt, die Mittel des Staatshaushalts werden durch sinkende Steuereinnahmen und Zolleinnahmen verringert, Rohstoffe und Ersatzteile fehlen, was die heimische Produktion einbrechen lässt, Währungs- und Bankenkrisen können ausgelöst werden, dadurch wird eine Aufnahme von Staatsanleihen auf internationalen Finanzmärkten erschwert.
Zwar werden offiziell humanitäre Güter, Medikamente etc. von Sanktionen ausgenommen. Faktisch aber weigern sich Händler aus Sorge vor Konsequenzen dennoch, diese in sanktionierte Staaten zu liefern. Sie stehen der Bevölkerung also trotz der Ausnahmen auf dem Papier nicht zur Verfügung.
Das Leid der Zivilbevölkerung – denn die ist es, die am meisten leidet und zwar gerade die Schwächsten, während die Herrschenden am allerwenigsten getroffen werden und die Sanktionen auch am besten umgehen können – ist keinesfalls ein Kollateralschaden. Vielmehr wird es in Kauf genommen, ja ist Teil der Strategie: Die Bevölkerung soll, so das Kalkül, so sehr leiden, dass sie ihre Regierung stürzen möge.
Durch ihre humanitären Folgen sind Wirtschaftssanktionen auch im Westen in Kritik gekommen, vor allem durch das Irak Embargo.
„Smart Sanctions“ sollen allzu schlimme Folgen vermeiden, in Praxis änderte sich grundsätzlich nichts.
Probleme: werden zwar von vielen als unproblematisch betrachtet, sind dies aber aus mehreren Gründen nicht:
- Auch gegen Einzelpersonen verhängte Sanktionen verletzten Menschenrechte – sowohl die der Sanktionierten als auch von Familienangehörigen, die in bester Sippenhaft oft gleich mit sanktioniert werden.
- Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten sind individuelle Sanktionen hoch problematisch: in den seltensten Fällen wird lückenlos nachgewiesen, dass die Sanktionierten tatsächlich für die ihnen vorgeworfenen Völkerrechtsverstöße und Menschenrechtsverletzungen direkt und persönlich verantwortlich sind (Beispiel russische „Oligarchen“, bei denen offenbar ausreicht, dass sie Russen und reich sind).
- Die Sanktionierten haben kaum Möglichkeiten, sich gegen die Sanktionen auf rechtsstaatlichem Wege zu wehren.
- So individuell wie vorgegeben wird, ist diese Form der Sanktionen eben nicht. Gerade bei den russischen „Oligarchen“ (wobei zu fragen ist, warum deutsche Reiche nicht ebenfalls so bezeichnet werden) wird immer wieder betont, sie würden ganze Wirtschaftszweige kontrollieren. Demnach werden, wenn man sie sanktioniert, natürlich auch mindestens Teile der Bevölkerung getroffen. Ganz zu schweigen von den fatalen Auswirkungen, die die abnehmende Verfügbarkeit von russischen Düngemitteln (deren Vertrieb ist teilweise ebenfalls in der Hand von „Oligarchen“) auf die Ernährungs(un)sicherheit im globalen Süden hat.
Häufig sind individuelle Sanktionen nur eine Vorstufe zu umfassenden Wirtschaftssanktionen, sie öffnen also die Büchse der Pandora. Zudem belegen Studien, dass gezielte Sanktionen politische Repression eben nicht verringern, sondern vielmehr erhöhen, dass sie die humanitären Bedingungen für die Bevölkerung verschlechtern (z.B. weil die Herrschenden mehr Gelder für sich selbst abzweigen) und Korruption sowie schlechte Regierungsführung befördern.
Zurück zu den Wirtschaftssanktionen:
Wirtschaftssanktionen, genauer ausgedrückt einseitige Zwangsmaßnahmen, verstoßen aufgrund ihrer schädlichen bis tödlichen Folgen nach einhelliger Meinung namhafter Völkerrechtler, UN- und Menschrechtsorganisationen eklatant gegen zentrale Menschenrechte.
Völkerrechtliche Auseinandersetzung – polit. Westen vs. Globaler Süden
Wird auch von immer mehr westlichen Völkerrechtlern, Politologen … anerkannt. Während sie aber darüber grübeln, wie das Instrument so verbessert werden kann, dass es weiter zum Erzwingen eines gewünschten Verhaltens anderer Länder eingesetzt werden kann, lehnt die überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler und der Bevölkerung weltweit eigenmächtige Wirtschaftssanktionen grundsätzlich als Intervention der mächtigen westl. Industriestaaten in schwächere Staaten ab.
Schon lange in der UNO
Insbes. Länder des Südens pochen auf die schon in der UN-Charta verankerten Grundsätze, vor allem auf den der „souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder“ sowie auf den der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Diese Grundsätze sind ab den 1960er Jahren durch eine Reihe von Resolutionen der UN-Generalversammlung zu einem weitreichenden Interventionsverbot weiterentwickelt worden.
So wurde in der „Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten“, die von der UN-Vollversammlung 1974 verabschiedet wurde, festgeschrieben, dass kein Staat wirtschaftliche, politische oder sonstige Maßnahmen anwenden darf, um einen anderen Staat zur Unterordnung zu nötigen.
Im Dezember 1983 richtete sich schon eine erste Vollversammlungs-Resolution u.a. mit Verweis auf diese Charta direkt gegen „Wirtschaftliche Maßnahmen als Mittel des politischen und wirtschaftlichen Zwangs gegen Entwicklungsländer“. Sie verurteilte die Praxis „industriell hochentwickelter Länder“, ihre dominierende Stellung in der Weltwirtschaft auszunutzen, um ihnen genehme Entscheidungen von Entwicklungsländern zu erzwingen.
Seither werden jährliche Resolutionen der UN GA gegen eigenmächtige Zwangsmaßnahmen verabschiedet, die nicht von dazu legitimierten Organen der Vereinten Nationen verhängt wurde. Seit 1994 inhaltlich ähnliche auch vom UN MR. Sie wurden inhaltlich immer mehr ausgeweitet und juristisch präzisiert und fanden immer deutlichere Mehrheiten. seit vielen Jahren stimmen über Zwei Drittel dafür und nur die westl. Staaten und enge Verbündete dagegen. Sie verurteilen aufs Schärfste die Durchsetzung solcher Maßnahmen mit dem Ziel Länder das Recht zu nehmen, frei über ihre eigenen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme zu entscheiden. Sie wenden sich „nachdrücklich gegen den extraterritorialen Charakter dieser Maßnahmen, die darüber hinaus die Souveränität der Staaten bedrohen“, und fordern „alle Staaten auf, diese Maßnahmen weder anzuerkennen noch anzuwenden“, sondern ihnen aktiv entgegenzuwirken.
So zeigt sich ein völlig unterschiedliches Rechtsverständnis: Westen: „regelbasierte Ordnung“. Regeln die er selbst setzt, die er dem Rest der Welt in neokolonialer Manier überstülpen will.
Nicht-westliche Länder setzen mehrheitlich auf etabliertes Völkerrecht, verankert in der UN-Charta, Pakten und zentralen UN-Resolutionen – Regeln, Rechte, Pflichten, um die die Länder des Südens nach dem Abschütteln des kolonialen Jochs hart gerungen haben.
Der Süden will die Herrschaft des Rechts, während der Westen das Recht des Stärkeren verteidigt. Festhalten an jahrhundertelanger Dominanz von weiten Teilen der westlichen Gesellschaften. Mitgetragen bis in die Linke. Überlegenheitsdenken, Eurozentrismus [[So wirbt auch Jan van Aken in seinem Buch „Worte statt Waffen“ für Sanktionen als probates Mittel für zivile Konfliktlösungen.]]
Praktischer Widerstand gegen WS
Angesichts der breiten Ablehnung ist es nicht überraschend, dass viele Länder schon seit langem helfen Wirtschaftsblockaden zu umgehen, in den letzten Jahren zunehmend offensiver.
Russland
Besonders deutlich gegen Russland.
Der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist völkerrechtlich etwas anderes gelagert als die Blockaden gegen Kuba, Iran etc. Wenn der Einmarsch in die Ukraine als völkerrechtswidrig eingestuft wird, wie es die meisten Regierungen taten, dann dürfen Drittstaaten die Ukraine unterstützen, auch mit wirtschaftlichen Restriktionen. Das fällt dann unter kollektive Selbstverteidigung. Allerdings nur im Zusammenhang mit russischer Kriegführung, im wesentlichen also Waffen, Rüstung. Umfassende Blockaden des Exports von Rohstoffen, Ausschluss von internationalem Finanzsystem, Boykott von Unternehmen wegen bloßer Nähe zum Kreml d.h. ein vollständiges Embargo um das Land zu „ruinieren“ sind völkerrechtswidrig.
Viele Maßnahmen verstoßen unabhängig davon gegen internat. Abkommen (WTO …)
Und Sekundärsanktionen gegen Unternehmen von Drittländern, wie sie auch die EU verhängt, sind ohnehin nicht mit dem Völkerrecht vereinbar.
Dies ist, wie man Stellungnahmen entnehmen kann die Sicht der meisten Regierungen. Dadurch blieben die NATO-Staaten bekanntlich mit ihren umfangreichen Blockademaßnahmen gegen Russland ziemlich isoliert. Nur fünf Staaten außerhalb der NATO und der EU beteiligen sich mehr oder weniger aktiv: genau die Verbündeten, die auch gegen die UN-Resolutionen stimmten. Die übrigen Staaten führen ihre Zusammenarbeit mit Russland nicht nur fort, sondern haben sie zum Teil sogar noch intensiviert. Nicht nur China kauft seither russisches Öl und Gas in Rekordmengen, sondern auch zahlreiche andere Länder ‒ natürlich begünstigt durch Rabatte von bis zu 30 Prozent, die Moskau gewährt.
Die russischen Rohöl-Exporte nach China stiegen 2023 auf die Rekordmenge von 107 Millionen Tonnen, die Einnahmen stiegen von 40 Mrd. 2021 auf über 62 Mrd. 2024. Von Februar bis September dieses Jahres steigerte China seine Importe noch einmal drastisch. [2]
Indiens Importe russischen Öls wuchsen von 4 Millionen Tonnen auf über 87 Millionen Tonnen letztes Jahr. Die Inder zahlten dafür 53 Mrd., 37 Prozent der Gesamtausgaben für Rohöl-Importe.
Umgekehrt floriert auch der russische Import, indem unter Embargo stehende Waren über Nachbarländer importiert werden. Die Liefermengen dorthin nahmen in dem Maße zu, wie sie nach Russland sanken. [3] Zunehmend wurden westliche Güter auch durch asiatische ersetzt.
Das russische Handelsvolumen mit China legte schon in den ersten sechs Monaten um 64 Prozent zu, das mit Brasilen verdoppelte sich und das mit Indien stieg sogar auf mehr als das Vierfache. [4] Insgesamt vollzog sich so seit dem Frühjahr 2022 im Rekordtempo ein gravierender Umbruch im Welthandel.
[[Nachdem Trump jetzt neue weitreichende Blockademaßnahmen gegen den russischen Energiesektor verhängt hat, die insbesondere alle Geschäfte mit den beiden größten Energiekonzerne des Landes, Lukoil und Rosneft, unterbinden sollen, wird nun ein Rückgang der Ölimporte Chinas und Indien gemeldet.Allen Firmen, die weiter Geschäfte mit den russischen Ölriesen oder ihren Tochterunternehmen machen, droht Washington mir Sekundärsanktionen, wie den Ausschluss von US-Finanzmärkten. Wie sich es längerfristig auswirkt, muss man sehen. Bisher wurden im Verein mit diversen Bündnispartner Wege gefunden. Mit den Rekordimporten seit Anfang des Jahres hat China sich enorme Vorräte angelegt, die Peking und den chinesischen Firmen Zeit verschafft.
Einige indischen Raffinieren beziehen nun ihr Öl über kleinere russische Ölfirmen.
Auch Indiens größter staatlicher Ölraffineriebetreiber Indian Oil Corp (IOC) hat nach kurzer Unterbrechung den Kauf von russischem Rohöl wie Reuters berichtete wieder aufgenommen. Da Trump auch die Hälfte der Zölle in Höhe von 50 Prozent mit Kauf von Öl und Waffen aus Russland begründet ist der Druck hoch. ]]
Darauf, wie sich die neuen Wirtschaftssanktionen Trumps auswirken können wir in der Diskussion eingehen, Der indische Präsident Modi hat bisher das Drängen Trumps, Indien solle auf russisches Öl verzichten, mit den Worten abgewehrt, sein Land lasse sich nicht vorschreiben, mit wem es Geschäfte macht.
Iran
Das gilt auch für den Iran. Während Israel und die USA das Land militärisch angriffen und die 3 europäischen Garantiemächte des Wiener Abkommens den sog. Snapback-Mechanismus für Iran-Sanktion auslösten, hat Indien seine Öl-Importe aus dem Iran ausgeweitet [, sind aber mit einem Volumen von gut 1 Mrd. Dollar 2024 weit unterm Niveau vor Trumps Aufkündigung des Abkommens. [5] ]
Iran profitiert auch anderweitig stark davon, dass immer mehr Länder bereit sind, Blockaden zu umgehen.
Er konnte dadurch seine wirtschaftlichen und politischen Beziehungen in letzter Zeit stark ausbauen. Neben engerer Kooperation mit Russland, auch mit asiatischen Staaten. China ist mittlerweile der mit Abstand größte Handelspartner und in dessen oft als „neue Seidenstraße“ bezeichnete „Belt and Road Initiative“ spielt der Iran schon aufgrund seiner Lage eine zentrale Rolle.
Auch andere asiatischen Staaten weiten, wie Indien, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der islamischen Republik stetig aus. Zudem baut der Iran in Kooperation mit China, Indien, Russland und seinen anderen Nachbarn große Transportkorridore über sein Territorium aus und integriert sich auf diese Weise immer stärker in die Region.
Durch die Mitgliedschaft in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), dem bedeutendsten sicherheits- und wirtschaftspolitischen Bündnis im Osten konnte er seine Integration dort auch politisch festigen. Und durch die Aufnahme in die BRICS konnte er seine Position gegenüber dem Westen natürlich ebenfalls entscheidend stärken.
Der Iran spielt so eine zunehmend gewichtigere Rolle im Umbruch in eine multipolare Welt, während die EU-Staaten und besonders Deutschland sich mit dem dauerhaften Verlust lukrativer Geschäfte im Iran abfinden müssen.
Kuba
Die Lage Kubas dessen Entwicklung uns besonders am Herzen liegt, ist schwieriger, obwohl die Blockade fast einhellig vom Rest der Welt abgelehnt wird.
Die Insel ist bekanntlich seit 1960 mit einer Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade konfrontiert und dadurch seit 65 Jahre erheblich in ihrer Entwicklung gehemmt.
[[Besonders seit den in den 1990er Jahren verabschiedeten Torricelli- und Helms-Burton-Gesetzen. Diese gestatten der US-Exekutive auch ausländische Unternehmen und Banken unter Androhung schwerer Konsequenzen zu zwingen, sich der Blockadepolitik zu unterwerfen. Für Geschäfte, die die US-Behörden als Verstoß betrachten haben sie z.T. horrende Summen abgepresst. Die französische BNP Paribas 8,9 Mrd., Commerzbank 718 Mio.]]Der wirtschaftliche Schaden für das Entwicklungsland ist enorm. Die kubanische Regierung schätzt die Gesamtkosten zum sechzigsten Jahrestag des Embargos auf über 144 Milliarden US-Dollar. Die jährlichen Schäden werden mittlerweile auf mehr 6 Milliarden US-Dollar geschätzt. [6]
Das kubanische Gesellschaftssystem kann die humanitären Folgen abfedern, dafür sorgen, dass niemand hungert. Die Versorgungsengpässe sind aber seit der Verschärfung durch Trump wieder massiv, besonders brutal während Covid19-Pandemie.
Das Land hat auch mit anderen Problemen, wie den Nachwirkungen der Pandemie, einer verschärften Energiekrise, Erdbeben und zerstörerischen Hurrikane zu kämpfen, die die wirtschaftlichen Schwierigkeiten weiter zugespitzt haben. Das größte Problem ist die US-Blockade, die unbarmherzig zusätzlich erwürgt.
Auch die EU und andere Verbündeten der USA kritisieren das Embargo als ungerechtfertigt und völkerrechtswidrig, vor allem die Anwendung von „Sekundärsanktionen“ die auch sie beeinträchtigen.
Wie isoliert die USA sind zeigen die Resolutionen der UN-Generalversammlung mit denen die Blockade seit 1992 Jahr für Jahr als völkerrechtswidrig nahezu einstimmig verurteilt wird, am 29. Okt. bereits zum 33. Mal. [Im letzten Jahr nur 2 Gegenstimmen. Dieses Jahr kamen die von fünf Regierungen hinzu: Mileis Argentinien, Ukraine, Paraguay, Ungarn und Nordmazedonien. Zwölf Staaten, darunter die EU-Mitglieder Polen, Estland, Lettland und Litauen, enthielten sich. Die übrigen anwesenden 165 Staaten stimmten dafür.]
Dass Kuba materiell nicht in dem Maß von der breiten Ablehnung profitieren kann wie z.B. der Iran, liegt zum einen daran, dass es als Insel direkt vor der US-Küste geografisch sehr ungünstig liegt. Zudem ist Kuba kein wichtiger Erdölproduzent und verfügt auch nicht selbst über viele andere Rohstoffe. Und die Blockademaßnahmen werden mit besonderem Nachdruck überwacht und durchgesetzt – auch gegenüber Banken und Unternehmen von Drittstaaten.
Dennoch erhält das sozialistische Land Hilfe. Seit Russland, der bisher wichtigste Partner selbst mit einem Wirtschaftskrieg konfrontiert ist, kommt die meiste Unterstützung aus China. Es investiert seit dem Beitritt Kubas zur chinesischen „Belt and Road“-Initiative im Jahr 2018 in zunehmendem Umfang in Infrastrukturprojekte – von der Energieversorgung über Häfen bis hin zur Telekommunikation. U.a. spendet es große Mengen an Material für den Ausbau der Solarenergie. Bis 2028 sollen so 92 Photovoltaik-Solarparks mit einer Gesamtkapazität von 2.000 MW entstehen.
Weiterhin wichtig bleiben auch russische Hilfen in Form von Weizen- und Öllieferungen, sowie der Kuba-Tourismus aus Russland, der von Moskau stark gefördert wird.
Kuba vertiefte auch kürzlich Beziehungen zu Vietnam und Laos Vietnam wurde mittlerweile zum zweitwichtigster Handelspartner Kubas und der wichtigste Kapitalinvestor aus Asien.
Zusätzliche Hilfe gegen Trumps Würgegriff kann Kubas Aufnahme als Partner der BRICS bringen. Die Zusammenarbeit im BRICS-Rahmen könnte u.a. bei der Diversifizierung der kubanischen Wirtschaft und bei der Erneuerung des Energiesektors helfen.
Indien hat sich verpflichtet seine Zusammenarbeit im Rahmen der BRICS in Schlüsselbereichen wie Biotechnologie, erneuerbare Energien, Informationstechnologie, Landwirtschaft und Tourismus auszubauen.
Und die BRICS-Partnerschaft dürfte die Nutzung alternativer Währungen, wie dem chinesischen Yuan und der indischen Rupie erleichtern, sowie die alternativer Finanztransfersysteme. Dadurch könnte die Finanzblockade teilweise durchbrochen und die Transaktionskosten gesenkt werden.
Dedollarisierung
Die ausufernden Finanzblockaden, gar verbunden mit den Einfrieren von Guthaben der angegriffenen Länder und dem Ausschluss aus dem internationalen Finanzkommunikationsnetzwerk SWIFT, befeuern natürlich das Streben nach mehr wirtschaftlicher und finanzieller Unabhängigkeit von den USA und der EU.
Daher arbeiten viele Länder mit Nachdruck daran, sich vom US-Dollar und vom US-dominierten Finanzsystem wirksam abzukoppeln – naheliegenderweise gemeinsam mit China, Russland und dem Iran.
China baut den Yuan, bzw. den Renminbi, schon seit langem Schritt für Schritt zu einer Leitwährung aus. Wo es möglich ist, ersetzen immer mehr Staaten den Dollar im Handel durch den Yuan, voran die BRICS-Staaten. China und Brasilien wickeln ihren bilateralen Handel nur noch in ihren lokalen Währungen ab. [7] Insgesamt kann China mittlerweile schon über 50 Prozent seines Außenhandels in seiner eigenen Währung abwickeln. Indien baut ebenfalls beschleunigt die eigene Landeswährung Rupie zu einer internationalen Handelswährung und Alternative zum US-Dollar auf.
BRICS will auch über seine New Development Bank den Aufbau eines entdollarisierten Handelssystems vorantreiben. Diese multilaterale Entwicklungsbank soll dem Globalen Süden als Alternative zu IWF und Weltbank dienen. Sie steht auch anderen Ländern offen und kann zukünftig auch denen helfen, die durch Finanzblockaden vom US-dominierten Finanzsystem ausgeschlossen sind.
Parallel dazu arbeiten vielen Staaten und Bündnisse auch an Alternativen zum US-kontrollierten Finanzsystem und SWIFT. Russland hat bereits 2014 ein eigenes Transfersystem, etabliert, sowie ein nationales Zahlungssystem, inklusive Kreditkarte, namens Mir. Diese wird u.a. auch von türkischen Banken akzeptiert. [8] Auch in Kuba kann man sie seit Dez. 2024 nutzen. Im Januar 2023 wurde das russische mit dem iranischen Finanzkommunikationssystem zusammengeschlossen. [9]
Wesentlich leistungsfähiger ist Chinas „Grenzüberschreitendes Interbankenzahlungssystem“ (Cross-Border Interbank Payment System, CIPS). Ende April 2025 hatte CIPS bereits über 1670 Teilnehmer aus 119 Ländern und wickelte darüber Geschäfte mit mehr als 4.900 Bankinstituten in 187 Ländern ab. [10] Von SWIFT, das von 11.000 Finanzinstituten in 200 Ländern genutzt wird, ist das chinesische System noch ein gutes Stück entfernt, kann aber durchaus schon als echte Alternative fungieren.
Auch kubanische Banken nutzen mittlerweile Chinas SWIFT-Alternative.
All dies setzt der wirtschaftlichen Mach der USA, die sich stark auf die Dominanz des Dollars stützt, spürbar zu. Noch hat der US-Dollar mit Abstand den größten Anteil am Welthandel und an den Devisenreserven. Doch wird seine Dominanz zunehmend in Frage gestellt. Hatte der US-Dollar 1977 einen Anteil von 85 Prozent bei den Devisenreserven und 2001 noch von 73 Prozent, so betrug er 2023 nur noch rund 58 Prozent.
Zusammenfassend kann man, denke ich, sagen, dass sich im Zuge des Wirtschaftskrieges gegen Russland die Welt nun endgültig aufgeteilt hat, nicht nur in der völkerrechtlichen Debatte, sondern auch ganz real politisch und wirtschaftlich. Während sich der politische Westen enger zusammenschloss ‒ gegen Russland aber auch gegen China, erstarkten im Süden Blöcke, die sich gegen dessen Dominanzstreben richten und in denen Russland und China eine zentrale Rolle spielen. Vor allem das BRICS-Bündnis bekam bekanntlich enorme Bedeutung und Anziehungskraft. Nach seiner Erweiterung zu Brics+, umfasst es bereits mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung.
Die Zunahme wirtschaftlicher Alternativen für Außenhandel und ausländische Investitionen bieten vielen Ländern des globalen Südens Wege, den neo-kolonialen Extraktivismus, d.h. die Beschränkung auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zum Nutzen globaler Firmen, zu überwinden. Es ist ein Prozess der weiteren Entkolonisierung, der einhergeht mit einem neuen selbstbewussten Eintreten der Länder für ihre Souveränität, sichtbar z.B. in der Abkehr der Sahel-Staaten von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich.
Wir dürfen uns nichts vormachen. Die USA und ihre Verbündeten werden alles tun um das Rad aufzuhalten, auch mit militärischer Gewalt, wo Wirtschaftsblockaden nicht ausreichen ‒ aktuell droht das Venezuela.
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Fußnoten
[1] Memorandum from the Deputy Assistant Secretary of State for Inter-American Affairs (Mallory), Washington. April 6, 1960, Office of the Historian, Foreign Service Institut
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[2]Russian Oil Finds Fewer Takers in China After Hit From Sanctions, By Bloomberg News, 3.11.2025
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[3] EU-Behörde hat Verdacht: Nachbarn helfen Russland, die Sanktionen zu umgehen, Berliner Zeitung, 21.02.2023
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[4] How Russia Pays for War, New York Times, 30.10.2022
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[5] Gemäß COMTRADE database on international trade, andere geben weniger an. India Imports from Iran – 2025 Data 2026 Forecast 1988-2024 Historical, Trading Economics , November 2025.
India Emerges as Iran’s New Oil Buyer After Snapback, WANA (West Asia News Agency), 04 October 2025
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[6] Kuba: Mangel in Kreativität verwandeln – Miserable ökonomische Kennzahlen, aber Licht am Ende des Tunnels. Zur wirtschaftlichen Lage Kubas, jW 21.07.2025,
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[7] Brasilien und China einigen sich auf Handel in ihren Landeswährungen, Telesur, amerika21
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[8] Türkei zahlt russisches Gas in Rubel und öffnet Banken für russische Kreditkarten, Business Insider, 9.8.2022
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[9] Pepe Escobar, Die große Leiche: Russland-Iran entledigen sich des Dollars und brechen die US-Sanktionen, The Cradle / seniora.org, 13.2.2023
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[10] CIPS Participants Announcement No. 108, CIPS, 12.5.2025
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