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AG Europa
Factsheet

In diesem (Un)Geist:
- wurden und werden riesige Aufrüstungsprogramme, vorneweg Rearm Europe aufgelegt,
- flossen in den ukrainischen Stellvertreterkrieg bisher 63,19 Milliarden Euro aus Brüssel, (3)
- werden Versuche unternommen, einen Verhandlungskompromiss mit Moskau zu blockieren,
- werden die Konfrontation und der Propagandakrieg gegen Russland weiter eskaliert,
- wird für den Fall, dass die Waffen schweigen, mit der sog. Koalition der Willigen eine NATO light etabliert, d.h. die Stationierung europäischer NATO-Truppen in der Ukraine,
- droht für die Nachkriegszeit die lange Spaltung Europas durch einen Eisernen Vorhang 2.0.
All das ist ein regelrechter zivilisatorischer Rückfall.
Nicht erst seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine
Offiziell gerechtfertigt wird dies alles mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Tatsächlich begann alles viel früher. Den Weg bereitete die NATO-Osterweiterung. Aber auch das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, das ab 2007 verhandelt wurde, hatte eine antirussische Stoßrichtung. Es zielte nicht nur darauf, die Jahrhunderte alten Verflechtungen der Ukraine mit dem zaristischen Russland und später der Sowjetunion zu kappen, sondern enthielt auch die Übernahme außen- und sicherheitspolitischer Positionen. Günter Verheugen, damals EU-Erweiterungskommissar, sagte dazu: „Noch im Jahr 2010 wollte Russland trilaterale Projekte – EU, Russland, Länder der östlichen Partnerschaft – realisieren. Es gab also ganz klar Chancen einer konstruktiven Einbindung Russlands in eine Partnerschaft, die aber leider nicht genutzt wurden.“ Der Grund war, „dass die EU mehr und mehr der US-amerikanischen Linie folgte. Und Washington meinte, es komme darauf an, langfristig Russland so zu schwächen, dass es nicht wieder zum Rivalen werden kann.“ (4) Brüssel beteiligte sich auch danach, eifrig an der Eskalationsschraube zu drehen, u.a. mit dem Auftritt der damaligen Außenbeauftragten Ashton auf dem sog. Euro-Maidan 2014, dem Beginn der Sanktionspolitik und der Unterstützung Kiews im Low Intensity Krieg im Donbass, der zwischen 2014 und 2022 mehr als 12.000 Todesopfer kostete.
Die EU trägt eine große Mitverantwortung für den Krieg in der Ukraine.
Warum machen die das?
Die Weltordnung befindet sich in einem dramatischen Umbruch. Mit dem Ende der unipolaren Vorherrschaft der USA – und in deren Schlepptau des übrigen Westens –, die seit 1992 die Weltgeschichte prägte, geht zugleich die 500-jährige Epoche der Herrschaft Europas und seines nordamerikanischen Ablegers zu Ende. Mit dem Aufstieg Chinas, der Renaissance Russlands als Großmacht, der neuen Rolle Indiens und anderer Länder des globalen Südens treten wir in eine multipolare Weltordnung ein. Die Länder Asiens, Lateinamerikas und Afrikas verlangen zurecht Mitsprache bei der Gestaltung der Weltordnung – und sie haben jetzt auch zunehmend die Mittel, um das durchzusetzen.
Die EU mit ihren fünf Prozent Anteil an der Weltbevölkerung – 1900 waren es noch fast 25% – ist mit einem geopolitischen Abstieg konfrontiert, der die eigentliche Zeitenwende ist. Das ist für einen Eurozentrismus, der sich 500 Jahre lang als Bauchnabel der Welt aufführte, schwer zu verdauen. Hinzu kommen neuerdings die Konflikte im Verhältnis zu den USA, denen sich Westeuropa seit 1945 und später die EU unterworfen haben. Das schwächt die EU zusätzlich. Sie ist machtpolitisch nur noch ein drittrangiger Akteur.
Und jetzt sind sie auch noch dabei den Krieg in der Ukraine zu verlieren. Die Ukraine steht militärisch, ökonomisch und demographisch am Abgrund. Jeder Tag, den der Krieg weitergeht, verschlechtert für Kiew die Bedingungen für eine Kompromisslösung.
Die politische Klasse der EU reagiert gegen die tektonischen Verschiebungen in der Welt mit Aggressivität und dem Dinosaurier-Rezept einer immer stärkeren Militarisierung.
Die internen Probleme wachsen Brüssel über den Kopf
Gleichzeitig wachsen die internen Probleme und Widersprüche immer schneller. Der von der EU-Kommission beauftragte Draghi-Report zeichnet ein schonungsloses Bild von der wirtschaftlichen Lage. Darin ist von „existentiellen Problemen“ die Rede, darunter das Abgehängtsein bei den Spitzentechnologien des 21. Jahrhunderts, die zu geringe Produktivität, die drastisch gestiegenen Energiekosten und Dys-funktionalitäten im Binnenmarkt und den Finanzmärkten.
Hinzu kommt die Krise der politischen Systeme, mit dem Aufstieg der Neuen Rechten, der Krise der Konservativen, dem Niedergang der Sozialdemokratie und einer marginalisierten Linken.
Auch die außenpolitischen Spaltungslinien nehmen zu, am stärksten in der Haltung zu der skrupellosen Missachtung von Völker- und Menschenrechten durch Israel in Gaza und der Nahostregion.
Die wachsenden internen Probleme schaffen ein zusätzliches Motiv für aggressive Außenpolitik: die Dämonisierung eines äußeren Feindes soll von den inneren Problemen ablenken und die Loyalität der Insassen der Wagenburg gewährleisten. Ein klassisches Verfahren. Früher wurde, wer nicht spurte, als Vaterlandverräter stigmatisiert, heute heißt es Putinversteher. Aggressivität nach außen geht immer mit Demokratieabbau nach innen einher.
Damit soll zugleich Protesten vorgebeugt werden. Wenn 21% der Menschen im EU Durchschnitt arm oder von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sind, wenn die Klima- und Umweltprobleme immer brennender werden, während gleichzeitig die klima- und umweltpolitisch ohnehin schon unzulänglichen Ziele des Green Deal runtergeschraubt werden, dann ist eine Weltmachtillusionen nachjagende EU nicht zu retten.
Alternativen
Nachdem die EU schon als Vorreiter der neoliberalen Globalisierung sich als eiskalter Vollstrecker privater Kapitalinteressen entpuppt hatte, kommt es mit ihrem militaristischen Kurs jetzt erneut zu einen Großangriff auf die grundlegenden Interessen der Menschen.
Emanzipatorische Politik muss sich dem entschieden entgegenstellen. Sicherheit in der Welt des 21. Jahrhunderts kommt nicht aus Kanonenrohren, sondern nur durch Diplomatie, vertrauensbildende Maßnahmen, Entspannung, Abrüstung und Respekt vor dem grundlegenden Völkerrechtsprinzip der gleichen und ungeteilten Sicherheit. Das heißt, dass keine Seite ihre Sicherheit auf Kosten der anderen erhöhen darf. Dazu gehört auch der Abbau von Hass und Feindbildern. Die ganze Politik der Konfrontation steht und fällt mit der Dämonisierung Russlands.
Unser Kontinent und die Welt brauchen ein Europa der friedlichen Koexistenz mit Russland, der Kooperation und des Friedens – von Lissabon bis Wladiwostok.
(Im September 2025)
Fußnoten
(1) Von der Leyen, Ursula: Europe’s choice. Political guidelines for the Next European Commission 2024−2029. S. 13
(2) EU (2022): A Strategic Compass for Security and Defence. For a European Union that protects its citizens, values and interests and contributes to international peace and security. Brüssel. S. 4
(3) Kiel Institut für Weltwirtschaft (2025): Ukraine Support Tracker. https://www.ifw-kiel.de/de/publikationen/daten-des-ukraine-support-trackers-26206/ Abgerufen 13.9.2025
(4) Verheugen, Günter. Interview in: Neues Deutschland, 3.4.2022.