Den nachfolgend schriftlich dokumentierten Redebeitrag von Margot Käßmann gibt es auf dieser Webseite inzwischen auch als Video zu sehen. Dort findet ihr auch den Beitrag von Reiner Braun auf dieser Aktionskonferenz:

Videos Aktionskonferenz der Friedensbewegung am 30. Juni
 
 
–    Es gilt das gesprochene Wort! –

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

fassungslos erleben wir seit dem Februar 2022 eine schleichende Militarisierung unserer Gesellschaft. Da ist die Friedensbewegung gefordert!

Zum einen geht es um die Sprache. „Helden“, „Blutzoll“, „Tapferkeit“ – all das ist inzwischen Sprachgebrauch der Medien. Die Außenministerin erklärt, wir dürfen nicht

„kriegsmüde“ werden. Der Verteidigungsminister meint gar, wir müssten

„kriegstüchtig“ sein. Die Medien schreiben das Wort „Verhandlungen“ inzwischen in Anführungszeichen. Im Aktuellen Sportstudio wird über die von Prinz Harry initiierten Invictus Games berichtet, wie großartig diese Sportler mit ihren Behinderungen umgehen. Was aber die Grund für ihre Behinderung ist – Krieg! – wird nicht erwähnt. Da muss die Friedensbewegung wachsam sein.

Zur schleichenden Militarisierung gehört vor allem die Rolle der Bundeswehr. Die Zahl rekrutierter Minderjähriger nimmt stetig zu. Das Kinderhilfswerk terre des hommes nennt das ein „Armutszeugnis“ für die Bundesregierung. Bundesminister

Pistorius wirbt inzwischen für „Schnupperpraktika“ und fordert ungehinderten Zugang für Jungoffiziere an Schulen, um den Dienst in der Bundeswehr Jugendlichen schmackhaft zu machen.

Bundesbildungsministerin Starck-Watzinger hat erklärt, an den Schulen solle für „ein unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ geworben werden. Zudem wirbt sie für Zivilschutzübungen an Schulen zur Vorbereitung auf Krisen wie Pandemien, Naturkatastrophen oder Krieg. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder will mit einem bayrischen Bundeswehrgesetz die Schulen verpflichten, die Armee zu einzuladen. Die aktuelle Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist da nur folgerichtig. Wäre es nicht so bitter, ließe sich darüber schmunzeln, dass ein CSU Minister ihre Aussetzung veranlasst hat und ein SPD Minister sie wieder einführen will. An diesem Punkt kann die Friedensbewegung auch die jüngere Generation abholen, davon bin ich überzeugt. „Meine Söhne nicht“….

Das Militär ist nicht die „Schule der Nation“. In seiner Antrittsrede als Bundespräsident sagte Gustav Heinemann am 1. Juli 1969: „Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken unterwiesen wurde, sondern heute ist der Frieden der Ernstfall.“1 Wir brauchen Schulen, die Friedenserziehung und gewaltfreie Konfliktbewältigung auf dem Lehrplan haben. Wir sollten dafür eintreten, dass die Friedensbewegung an Schulen präsent ist.

Auch gibt es nun einen „Operationsplan Deutschland“, der ständig aktualisiert wird. Generalmajor André Bodemann erklärte gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung2, Deutschland und die Bundeswehr müssen sich darauf einstellen, „auf die aktuellen Bedrohungen und die territoriale Verteidigung in Frieden, Krise und auch Krieg zu reagieren.» Das könne die Bundeswehr nicht allein leisten: «Deswegen brauchen wir die Unterstützung der zivilen Seite.» Es könne beispielsweise eintreffen, «dass sich etwa eine US-Division durch Deutschland in Richtung Osten bewegt, Tausende Fahrzeuge, Tausende Soldaten. Dann müssen die verpflegt werden». Sein Plan sei bei den 16 Bundesländern und allen Bundesressorts sehr positiv aufgenommen worden, «auch bei den Blaulichtorganisationen, vom Roten Kreuz bis zur Polizei», sagte Bodemann. Das ist in der Bevölkerung bisher gar nicht präsent, wir können es ändern.

Zu alledem passt die Entscheidung des Bundestags, für die bessere Sichtbarkeit von Soldaten in der Öffentlichkeit einen nationalen Veteranentag „für Respekt, Anerkennung und Würdigung unserer Soldatinnen und Soldaten“ ins Leben zu rufen. Ich frage mich, wo Respekt und Anerkennung für Lehrerinnen und Lehrer, Pflegekräfte, Polizeibedienstete, Ehrenamtliche ihre Würdigung finden. Und ich war stets froh, dass es nach 1945 keinen Heldengedenktag mehr gab, sondern stattdessen einen Volkstrauertag! Ab kommendem Jahr sollten wir den 15. Juni für Aktionen gegen die Kriegstreiberei nutzen.

Und zur Militarisierung passt eine beispiellose Aufrüstung, an der vor allem die Rüstungsindustrie verdient, deren Aktien Rekordhöhen erreichen. Allein die Aktie von Rheinmetall ist seit Februar 2022 von 96€ auf 560€ gestiegen! Aktionäre verdienen an den Kriegen der Welt und wenn die Flüchtlinge aus diesen Kriegen zu uns kommen, werden sie abgewiesen. Der Bundeskanzler selbst war im letzten Monat eigens zum Spatenstich für eine neue Rüstungsfabrik in Unterlüß zugegen. Die weltweiten Rüstungsausgaben liegen mit 2,2 Billionen US-Dollar auf einem absoluten Rekordhoch. Und: Mit „Steadfast Defender“ fand in diesem Jahr das größte Nato- Manöver seit dem Ende des Kalten Krieges statt. 90.000 Soldatinnen und Soldaten aus 32 Ländern nahmen teil. Das erklärte Ziel: Abschreckung. Dazu passt, dass erstmals eine ganze Brigade der Bundeswehr, 5000 Soldatinnen und Soldaten mit ihren Familien im Ausland stationiert werden soll, in Litauen.

Als sei das alles nicht genug, wird auch noch von Finanzminister Lindner und anderen eine Debatte über eine EU-Atombombe gefordert (SZ 14.2.24). Auch der ehemalige Außenminister Joschka Fischer fordert Atomwaffen für die EU und sagt

„wir müssen unsere Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen“. (Zeit online 3.12.23).Dazu rufen wir als Friedensbewegung in der Tradition von Wolfgang Borchert unser Nein! Wir wollen nicht kriegstüchtig werden, sondern friedensfähig! Wir wollen keine weitere Aufrüstung, sondern endlich, endlich Abrüstung!

Atomwaffen dürfen nicht neu legitimiert werden. Sie gehören verbannt! Wir brauchen keine Abschreckung. Dringend notwendig sind stattdessen Konzepte für friedliches Zusammenleben auf unserem Planeten. Wir müssen der jüngeren Generation klar machen, was ein Atomkrieg bedeutet!

Ja, Wladimir Putin ist ein Kriegsverbrecher. Aber es ist fatal, dass mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine immer nur Waffenlieferungen im Wert von vielen Milliarden Euro, Waffensysteme, Militärstrategien diskutiert werden. Aber die Folge sind noch mehr Tote. Waffen sind nicht die Lösung, sondern das Problem!

Viele Militärstrategen sagen, der Krieg in der Ukraine könne nicht militärisch entschieden werden. Deshalb brauchen wir Friedensstrategien, diplomatische Initiativen, Hoffnungszeichen, Milliardeninvestitionen in Frieden. Nur so wird dem Gemetzel ein Ende gesetzt. Es braucht im öffentlichen Bewusstsein Friedenslogik statt Kriegslogik. Nur wenn wir friedenstüchtig werden, hat diese Welt Hoffnung auf Zukunft. Wer einmal das Beinhaus von Douaumont besucht hat, in dem die Knochen von 130.000 jungen Männern zusammenliegen, die auf den Schlachtfeldern von Verdun starben, sieht den ganzen Irrsinn des Krieges. Sie sollten darum kämpfen, ob das Land zu Frankreich oder Deutschland gehört. Mit Blick auf ihre Gebeine ist das vollkommen irrelevant…

Zudem: Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. 300.000 junge Männer haben Russland verlassen. Sie werden zum Teil als Feiglinge diffamiert. Sie sollten als politisch Verfolgte bei uns Asyl erhalten. Männer in der Ukraine zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen. Fast eine Million von ihnen aber haben Zuflucht in Westeuropa gesucht. Sie bangen jetzt darum, ob sie bleiben können. Das widerspricht der stetigen Behauptung, alle Ukrainer wollten unbedingt zum Kämpfen an die Front. Zu den vielbeschworenen europäischen Werten gehört: Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht. Ich habe respektiere die Entscheidung eines Menschen, Soldat, oder Soldatin zu werden. Aber ich habe mich schon immer gefragt, warum eigentlich das Gewissen derjenigen offiziell geprüft wird, die den Kriegsdienst verweigern und nicht das Gewissen derjenigen, die Kriegsdienst leisten.

Und nicht zuletzt wird die Friedensbewegung diskreditiert. Von „selbsternannten Friedensfreunden“ ist die Rede. Wer Friedensverhandlungen fordert, wird sofort als Putinversteherin diffamiert. Volker Beck twittert, ich sei ethisch mit meinem

„Teestubenpazifismus“ immer auf der falschen Seite (was impliziert, dass er auf der richtigen ist). Sasha Lobo nennt uns „Lumpenpazifisten“, Roderich Kiesewetter

„wohlstandsverwöhnt“. Das weisen wir von uns. Auch all die begeisterten Befürworter von Waffenlieferungen werden selbst nicht in den Krieg ziehen, sondern bleiben bequem und wohlstandsverwöhnt auf ihren Sofas! Unser Land sollte aufhören, mit Waffenlieferungen schleichend zur Kriegspartei zu werden. Die Botschaft muss lauten: Fangt endlich damit an, Teil der Lösung zu sein, indem ihr Diplomatie liefert, die zu Waffenstillstand und Verhandlungen führt!

Gleichzeitig mit den Milliarden, die für Rüstung ausgegeben werden, wird im sozialen Bereich gekürzt: An Freiwilligendiensten. An Entwicklungshilfe. An Flüchtlingsprogrammen. Das kann nicht unwidersprochen bleiben. Warum bleibt es so still angesichts dieser Entwicklung? Der Theologe Friedrich Siegmund-Schultze hat 1946 formuliert: „..die Menschheit läßt sich wie stets in die Verantwortungslosigkeit hineinschläfern…“ Ein guter Ansatzpunkt für Friedensethik: sich nicht in Verantwortungslosigkeit „hineinschläfern“ lassen! Wir werden wach bleiben als deutsche Friedensbewegung. Es gibt im Krieg keine guten und schlechten Waffen. Außenministerin Baerbock erklärt, „unsere Waffen schützen Leben“. Das mag sein. Aber sie töten eben auch! Das müssen wir immer wieder klar machen

Ständig ist das Gegenargument: Putin will doch nicht verhandeln. Aber sollen Verhandlungen nur durch noch mehr Tote möglich werden?

Verhandlungsbereitschaft kann auch herbeiverhandelt werden, so der Journalist Heribert Prantl. Waffenstillstand heißt nicht Kapitulation, sondern schafft die Möglichkeit zu sondieren, wie verhandelt werden kann. Wo sind denn neben all den Militärstrategen im öffentlichen Diskurs die kundigen Diplomatiestrategen? Wo bleibt die große internationale Friedensinitiative? Auch die Friedensbewegung muss sich über nationale Grenzen hinweg vernetzten.

Dabei darf die extreme Rechte keinen Raum bekommen. Es ist beklemmend, dass sich die AfD als Friedenspartei darstellt. Wer von Zwangsdeportationen fantasiert, sät Unfrieden! Wir treten ein für eine Überwindung von Nationalismus und Rassismus, die Menschlichkeit und Gemeinschaft möglich macht. Wer Unfrieden sät, kann nicht glaubwürdig für Frieden eintreten.

Ministerpräsidentin Schwesig hat kürzlich gesagt, sechzig Prozent der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern lehnen Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Das muss sich doch in der Politik demokratischer Parteien spiegeln! Warum wurde nach den EU-Wahlen nicht thematisiert, dass viele rechtsextreme Parteien wählen, nicht weil sie Neonazis favorisieren, sondern weil sie gegen Waffenlieferungen sind? Das Meinungsforschungsinstitut Civey hat gezeigt, dass 55 Prozent der Deutschen einen Nato-Beitritt der Ukraine ablehnen, in Ostdeutschland sogar 62 Prozent der Befragten. Das kann doch die veröffentliche Meinung nicht einfach ignorieren. Diese Überzeugung vieler Mensch im Land muss Gehör finden. Denn die veröffentlichte Meinung, so Richard David Precht, ist derzeit eben nicht die öffentliche Meinung.

Auch der Nahe Osten spielt eine Rolle. Der entsetzliche Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat unendliches Leid über viele Menschen in Israel gebracht.

Und die Gegenreaktion Israels bringt jetzt noch mehr Leid über die Menschen in Gaza. Es hilft doch niemandem, jetzt Israel zu hassen für eine Regierung, die menschenverachtend handelt. Viele Israelis protestieren selbst im ganzen Land dagegen. Und Judenhass daraus abzuleiten ist absolut inakzeptabel. Das Leid der Opfer vom 7.Oktober und das Leid der Opfer in Gaza darf doch nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es muss einen sofortigen Waffenstillstand auch dort geben, eine internationale Konferenz für Frieden und Sicherheit in Israel und einem zukünftigen palästinensischen Staat um der Menschen willen muss die Gewalt ein Ende finden!

Wir müssen unterscheiden zwischen einer Regierung Netanjahu, dem Land Israel und dem Judentum. Für Antisemitismus und Judenhass ist in der Friedensbewegung kein Platz.

Zudem: Huthirebellen beschießen in der Folge Frachtschiffe und europäische und amerikanische Marine greift ein. Der ganze Nahe Osten könnte zum Kriegsgebiet werden. Und die Kriege, die im Jemen oder im Sudan toben, sind dabei noch gar nicht im Fokus unserer Aufmerksamkeit. Wir wollen nicht, dass die Eskalationsspirale weitergetrieben wird. Was notwendig ist, ist De-Eskalation und Abrüstung, das müssen wir klar machen!

Als evangelischer Christin ist mir bewusst:

Jahrhundertelang wurden Waffen durch Kirchenvertreter gesegnet. Und auch heute sehen wir wieder Bilder davon. Der russische Patriarch Kyrill rechtfertigt den russischen Angriff auf die Ukraine, als sei Russland angegriffen durch westliche Werte wie Freiheit, Gleichberechtigung, Anerkennung homosexueller Lebenspartnerschaften. Das ist für mich Gotteslästerung.

Die Kirchen der Welt sind immer in die Irre gegangen, wenn sie Gewalt legitimiert haben. Denn im Evangelium findet sich dafür keinerlei Grundlage. Jesus hat gesagt

„Steck das Schwert an seinen Ort“ und noch mehr: „Liebet Eure Feinde“. Der Friedensnobelpreisträger Martin Luther King hat erklärt, das sei das Schwerste, was Jesus uns hinterlassen hat. Das stimmt. Aber es ist zuallererst eine bleibende Mahnung, sich nicht in Feindbilder hineintreiben zu lassen.

Ich bin Großmutter von sieben Enkelkindern. Wenn ich an diese Kinder denke, an all die Kinder in der Ukraine, in Russland, in Syrien, im Jemen, im Sudan dann sind 100 Milliarden Euro für Rüstung zusätzlich zum Bundeswehretat von schon mehr als 50 Milliarden Euro allein in unserem Land doch keine Investition in ihre Zukunft. Was sie brauchen, ist eine Investition zur Verhinderung der Klimakatastrophe. Ihre Zukunft wird lebenswert durch Milliarden Euro, die in Bildung und Entwicklung investiert werden. Unsere Erde ist bedroht durch die rücksichtslose Ausbeutung aller Ressourcen. Und Krieg ist eine der schlimmsten Zerstörungskräfte.

Auch diese Kinder werden inzwischen indoktriniert. Da sendet das ZDF allen Ernstes im Rahmen seiner Kindernachrichtensendung „Logo“ (27.2.24) ein Comic, in dem Kriegsgeräte um Anerkennung ringen nach dem Motto, wer ist der tollste Marschflugkörper im Land. Und der arme Taurus wird bedauert, weil Olaf Scholz ihn ja nicht fliegen lässt! Da wird im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, für den wir Gebühren zahlen, bei Kindern dafür geworben, dass ein Marschflugkörper in die Ukraine geliefert wird, dessen Einsatz umstritten ist, weil wir dadurch mehr und mehr zur Kriegspartei werden. Das kann doch nicht unwidersprochen bleiben!

Wer Waffenlieferungen ablehnt, wird als naiv, dumm und ahnungslos hingestellt. Das ist für einen demokratischem Diskurs unwürdig. In Verantwortung auch mit Blick auf die deutsche Geschichte und mit Blick auf die Zukunft unseres Landes halte ich es als Deutsche für richtig, keine Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern. Bis Februar 2022 war das Konsens…

Nur Abrüstung und Frieden werden die Zukunft der Menschheit sichern. Die Hoffnung, dass das möglich ist, halten wir wach, auch in diesen Tagen und hoffentlich laut hörbar und weithin sichtbar am 3. Oktober in Berlin!

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

1 Gustav Heinemann, Antrittsrede als Bundespräsident, im Wortlaut abgedruckt in: SZ 2.7.1969, S. 7.

2 Vgl. Peter Carstens, Im Frieden befinden wir uns schon lange nicht mehr, FAZ 22.04.2024.