Leserbrief von Dipl.-Ing. Matthias Koch vom 28.11.2023

auf den Artikel von Angelika Slavik in der Süddeutschen Zeitung

Sehr geehrte Frau Wittwer, sehr geehrter Herr Krach,

sehr geehrtes Redaktionsteam der Süddeutschen Zeitung,

am 25.11.23 war unter SZ.de ein Artikel Ihrer Autorin Angelika Slavik unter der Überschrift: „Demonstration in Berlin: „Was dieser kriegsbesoffene Haufen so von sich gibt“ zu lesen. Siehe hierzu bitte auch folgenden Link:

Friedensdemo: Wagenknecht und die wilde Mischung vom Brandenburger Tor – Politik – SZ.de (sueddeutsche.de)

Auch nach mehrmaligem Lesen des Artikels habe ich Zweifel, von welcher Demonstration Frau Slavik da eigentlich berichtet, denn der – nach meinem Empfinden – wenig objektive und in seinem Tenor auch tendenziös abwertende Beitrag zeichnet ein ziemliches Zerrbild der Veranstaltung am 25.11.23 um 13 h in Berlin am Brandenburger Tor. Auch ich gehörte zu den vielen und im Übrigen nicht, wie berichtet, 5.000, sondern nach Angaben der Veranstalter über 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Demonstration. Auch ich war Teil der von Ihrer Autorin so titulierten „wilden ideologischen Mischung“ bzw. „wilden Melange“, und konnte mir selbst ein Bild machen; eines, das aber kaum zu dem passt, was Frau Slavik in ihrem Artikel wiedergibt.

Es beginnt schon mit dem Duktus des ersten Satzes im zweiten Absatz „…sogenannte Friedensdemonstration,…“. Was soll diese Abwertung; warum schreibt Frau Slavik… sogenannte?

Dass Frau Wagenknecht „die Hauptrednerin“ der Demonstration ist (bzw. war), stimmt nicht; Frau Slavik verschweigt weitere „Hauptrednerinnen und Hauptredner“, wie – neben weiteren – die frühere ARD-Korrespondentin in Moskau, Prof. Gabriele Krone-Schmalz, und den früheren UN-Botschafter Michael von der Schulenburg. Auf deren Redebeiträge wird auch gar nicht erst eingegangen, und ich stelle mir schon die Frage, ob Frau Slavik auch diesen zugehört hatte?

Dass die zentrale (sic!) Forderung der Kundgebung „Verhandlungen mit Russland“ ist (bzw. war), entspricht so nicht den Tatsachen, insbesondere wenn Sie sich bitte einmal die einzelnen Redebeiträge auf der Kundgebung anhören wollen. Sie wurden auch aufgezeichnet; den Link dazu füge ich Ihnen hier bei. Da ging es um viel mehr.

https://nie-wieder-krieg.org/

Entschieden widersprechen muss ich dem Inhalt des fünften Absatzes des Artikels. Frau Wagenknecht sagte auf der Kundgebung (ab Minute 5:18 ihres Redebeitrages nachzuhören), die Menschen in der Ukraine brauchen doch nicht immer mehr Waffen, sie brauchen endlich Frieden, dafür braucht es Verhandlungen, Friedensgespräche und Kompromissbereitschaft…Ihre Autorin verkürzt und verzerrt diese Aussage zu: „Man solle doch bitteschön mit Russland Friedensgespräche führen und der Ukraine keine Waffen mehr liefern“.

Und was soll die – noch zumal in Fettdruck gehaltene – Zwischenheadline „Auf manchen Schildern steht: Putin = Peace“ der Leserin und dem Leser des Artikels eigentlich suggerieren, mit der die darauffolgenden Absätze überschrieben sind? Etwa gar eine Art „Solidarisierung“ der Kundgebung mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine?? – die es aber dort nicht gegeben hat.

Ich jedenfalls konnte während der mehrstündigen Demonstration, bei der es gut möglich war –  denn lt. Beitrag von Frau Slavik soll es sich ja um lediglich 5.000 Teilnehmer gehandelt haben – sich vom gesamten Spektrum an „Schildern“ einen Überblick zu verschaffen, keines mit einer derartigen (und nur als ausgesprochen dumm zu bezeichnenden) Aussage entdecken. Und wenn das Frau Slavik möglich war, dann spiegelte das keinesfalls das Gros der Meinungen in der weitaus übergroßen Zahl wider, wie auch nicht in den Redebeiträgen, wo, wie im Beitrag von Prof. Gabriele Krone-Schmalz, der Krieg Russlands gegen die Ukraine als völkerrechtswidrig und Verbrechen bezeichnet wurde.

Und wenn Sie sich die einzelnen Redebeiträge anhören, dann können Sie jenen entnehmen, dass das zentrale Anliegen der Kundgebung ein viel größeres, ja geradezu globales war – die Bedrohung des Friedens wie auch des Klimas weltweit durch eine Vielzahl von Kriegen, immer weiterer und militärischer Aufrüstung mit den damit verbundenen Eskalationsgefahren, sowie die Forderung an die Politik nach diplomatischen – und nicht einzig militärischen – Lösungen, wenn ich das hier so verkürzt wiedergeben darf.

Aber genau jenen übergreifenden und globalen Kontext in den Mittelpunkt eines Artikels zu stellen, war offensichtlich nicht das Anliegen von Frau Slavik und ihres Beitrages gewesen. Eher ging es wohl darum, eine im Übrigen sehr friedliche Demonstration für Frieden und Abrüstung sowie deren Anliegen und Teilnehmer insgesamt in Misskredit zu bringen. Und dass er seine vermutlich beabsichtigte Wirkung, sowohl in seiner inhaltlichen Gestaltung als auch sicherlich wohlüberlegten Aufmachung mit den Überschriften, nicht verfehlt hat, das können Sie unschwer dem übergroßen Teil der Posts in der nebenstehenden Kommentarspalte entnehmen.

Als nunmehr fast Siebzigjähriger, der sich einst schon vor vielen Jahren im Rahmen der damaligen Friedensdekade unter dem Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ auf vielfältige Weise gegen die Nachrüstung in Ost und West engagierte; auf Demonstrationen sowie u.a. auch in der Organisation und Durchführung von Friedensandachten aktiv war, bin ich nur noch erschüttert und geradezu entsetzt, welche Ablehnung, welcher Hass und manchmal auch schon Bösartigkeit in der Überzahl der Medien heutzutage Menschen entgegenschlägt, die sich nicht mit der bedrohlichen Logik von Aufrüstung, Militarismus und „Kriegstüchtigkeit“ abfinden wollen; die eigentlich nichts anderes tun, als sich auf dem Boden unseres Grundgesetzes zu bewegen, welches das Friedensgebot nicht nur in einigen seiner Artikel, sondern schon in seiner Präambel verankert hat.

Und es ist sehr bedrückend, wenn man die in vielen Medien wie auch in Ihrer Zeitung damals noch durchaus vielschichtig geführte, offene Debatte zum Thema Frieden und Abrüstung heutzutage so schmerzlich vermissen muss, wo doch der Pluralismus und friedliche Diskurs von Meinungen mit seiner notwendigerweise auch medialen Widerspiegelung untrennbar zur DNA einer lebendigen Demokratie gehört.

Und wenn in unseren Tagen, und auch das anders als zu Beginn der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, die Friedensbewegung und ihre Anliegen im allergrößten Teil unserer Medien totgeschwiegen und bestenfalls diffamiert werden, dann sollte in Berichterstattungen über ihre Aktionen wenigstens so etwas wie Objektivität, journalistische Sorgfalt und Qualität gelten; etwas, zu dem sich Ihre Zeitung als große und seriöse Tageszeitung in ihrem Statut auch verpflichtet fühlt, wenn ich richtig informiert bin.

Aber all jenes lässt der Beitrag von Frau Slavik, dessen Schreibstil mich zudem ansatzweise eher an den des Boulevards als den einer seriösen Tageszeitung erinnert, in weiten Teilen vermissen. Er hätte besser mit „Meinung“ – nämlich einer in Teilen durchscheinenden persönlichen der Autorin – überschrieben werden sollen.

Für eine gelegentliche Antwort wäre ich Ihnen dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Koch

Antwort von Angelika Slavik, SZ.de

Sehr geehrter Herr Koch,

vielen herzlichen Dank für Ihre Nachricht. Ich bedauere sehr, dass Ihnen mein Text nicht gefallen hat. Zu Ihren Anmerkungen ein paar Gedanken: Die Teilnehmerzahl 5000 ist die von der Berliner Polizei genannte, diese Quelle steht auch im Text. Veranstalter neigen bisweilen dazu, die Teilnehmerzahlen an ihren Veranstaltungen sehr großzügig zu schätzen, deswegen diese offizielle Quelle. Sahra Wagenknecht war die nach der Begrüßung erste und ohne Zweifel die wichtigste Rednerin der Veranstaltung: Ohne sie hätten sich wohl deutlich weniger Menschen für die Demonstration interessiert, das gilt sowohl in Hinblick auf den Umfang der Berichterstattung als auch auf die Teilnehmerzahl – die Frage, ob man von dieser oder jener Stelle „Sahra sehen“ könne und wann „Sahra kommt“, war vor Beginn das dominierende Gesprächsthema im Publikum. Ich halte es deshalb für angemessen, Frau Wagenknecht als Hauptrednerin zu bezeichnen – in einer, wie Sie sehr richtig sagen, an Rednerinnen und Rednern sehr reichen Veranstaltung. Diese Rednerinnen und Redner haben ein sehr breites ideologisches Feld repräsentiert, darunter waren sehr unterschiedliche Aussagen vor allem zu den Konflikten in der Ukraine und im Nahen Osten: Es gab Verurteilungen der Attacken der Hamas, es gab aber eben auch einen holocaustrelativierenden Beitrag – dem im Übrigen auf dieser Bühne auch niemand widersprochen hat. Es gab Beiträge, die Krieg generell verurteilten und die Gefahr, die mit Atomwaffen verbunden sind, in den Mittelpunkt stellten – und es gab Beiträge, die die Schuld Russlands am Krieg in der Ukraine in Frage gestellt haben. Das als wilde ideologische Mischung zu beschreiben, halte ich für zutreffend. Gleiches gilt für die sprachliche Distanzierung von der Selbstbezeichnung als „Friedensdemonstration“. Die Beiträge waren sehr unterschiedlich, und einen Redner zu akzeptieren, der den Holocaust als weniger schlimm darstellt als die aktuellen Bombardements auf Gaza, rechtfertigt aus meiner Sicht nicht nur, den Begriff „Friedensdemonstration“ mindestens zu hinterfragen, es macht es sogar zwingend notwendig.

Bei einem Text über eine Veranstaltung wie jene am Brandenburger Tor ist die Atmosphäre – dazu gehören die Reden, die Reaktionen im Publikum, die gezeigten Plakate – zwingend ein Teil der Nachricht. Es geht darum: Wer spricht dort, wie ist die Stimmung, welche gesellschaftliche Strömungen finden hier womöglich gerade zusammen oder entsteht eine neue? Würde dieser Text nicht behandeln, wer dort mit welchen Botschaften im Publikum zu sehen ist, wäre die Beschreibung dieser Demonstration unvollständig und damit auch nicht korrekt.

Ich kann, sehr geehrter Herr Koch, Ihr emotionales Engagement bei diesem Thema absolut nachvollziehen. Ohne Zweifel ist die Frage, wie man in der Ukraine und im Nahen Osten Frieden herstellen könnte, von übergeordneter Wichtigkeit. Der Text über die Demonstration am Wochenende kann so eine komplexe Frage nicht in der angemessenen Tiefe behandeln, weil er einen anderen Fokus setzt – doch wir berichten jeden Tag in ganz vielen anderen Texten an unterschiedlichen Stellen der Zeitung genau darüber. Ich hoffe, dass Ihnen diese Beiträge zusagen – und ich freue mich, wenn Sie uns bei nächster Gelegenheit wieder Ihre Meinung schreiben. Viele herzliche Grüße, Angelika Slavik