Redebeitrag vom 25.11.23 vor dem Brandenburger Tor

Ich grüße Sie alle recht herzlich!

Es ist ja schon angeklungen: Normalerweise würde ich nicht auf einer Kundgebung sprechen. Als Journalist empfiehlt sich eine gewisse Zurückhaltung. Aber in diesen Zeiten käme mir Zurückhaltung so vor, als wolle man sich vor der Verantwortung drücken.

Das ungenierte Kriegsgeschrei kann ich so nicht hinnehmen!

Und ich habe den Eindruck, dass sich die Mehrheit in unserer Gesellschaft, schon gar die schweigende, weniger Kriegsrethorik wünscht und dafür mehr ernstzunehmende diplomatische Aktivitäten. Das ist das Kerngeschäft von Politik. Waffenlieferungen ist eine Bankrotterklärung derselben! Es reicht nicht, einen militärischen Plan zu haben – ein politischer Plan ist das Entscheidende. Und der fehlt! Sowohl mit Blick auf Russland und die Ukraine als auch mit Blick auf Israel und den Nahen Osten. Es wird in Kategorien von „Sieg und Niederlage“ gedacht und argumentiert. Es wird von „wertegeleiteter Außenpolitik“ gesprochen, die offenbar kein Problem damit hat, die zivilen Opfer – je nach Täter – unter „Kriegsverbrechen“ oder „Kollateralschaden“ zu verbuchen.

Mir geht die Heuchelei gehörig auf die Nerven und auch immer Bekenntnisse abgeben zu müssen, bevor man auf den Punkt kommt! Natürlich ist der russische Angriff auf die Ukraine völkerrechtswidrig. Ja, und was folgt daraus? Weitere Verbrechen? Rache? Vergeltung? Wie du mir, so ich dir? Der Kampf bis zum letzten Blutstropfen? Das lässt sich leicht fordern, wenn man nicht selbst an die Front muss!

Dieser fatale Bekenntniszwang, der sowohl in der Politik als auch in den Medien üblich geworden ist, verhindert eine sachorientierte Auseinandersetzung über die besten Wege, wie wir da wieder rauskommen! Ein „Ja, aber“ oder ein „Nein, obwohl“ – das hat doch nichts mit Relativierung oder gar Rechtfertigung zu tun. Sondern zeugt lediglich davon, dass derjenige in der Lage ist, zu differenzieren und sich mit diesen „platten Gut-Böse-Schemata“ nicht zufrieden- zugeben – die der Realität, im Übrigen, selten standhalten! Weder in der Ukraine noch in Israel.

Eines der überzeugendsten „Ja, aber“ stammt von Klaus von Dohnanyi, diesem besonnenen SPD-Politiker, der in den Achtziger Jahren Erster Bürgermeister in Hamburg war. Er hat sinngemäß gesagt: „Ja, der Krieg, den die Russen angefangen haben, ist ein Verbrechen. Aber dass der Westen ihn nicht verhindert hat, ist eine Sünde!“

Es geht im Moment gar nicht darum, Schuldzuweisungen hin- und herzuschieben: Waren es nun die Entspannungspolitiker, die den russischen Überfall erst möglich gemacht haben? Oder waren es vielleicht doch eher diejenigen, die den Entspannungspolitikern immer Knüppel zwischen die Füße geschmissen haben? Es geht jetzt darum, die Ausweitung von Kriegen zu verhindern und bestehende Kriege zu beenden. Dass das nicht einfach ist, das weiß ich auch. Aber es wird ja gar nicht erst versucht! Der politische Wille fehlt. Und die politische Analyse sowieso! Statt dessen gibts Ideologie und Moral. Und Gedankenspiele sogenannter Experten, wie jetzt in der ZEIT, in denen Horrorszenarien ausgebreitet werden für den Fall, dass Russland nicht besiegt wird. Verantwortungslose Angstmacherei von Leuten, die behaupten, ganz genau zu wissen, was Putin denkt und will und die sich in einer grenzenlosen Arroganz hinstellen und einen „Mentalitätswechsel“ in unserer Gesellschaft fordern. Wir sind noch nicht „kriegsbereit“ genug!

Unsere Demokratie wird nicht in der Ukraine verteidigt. Genauso wenig wie damals am Hindukusch. Das ist nur eine besonders hinterhältige Form, Kriegseinsätze zu rechtfertigen und einen moralisch unter Druck zu setzen. Der Kampf um unsere Demokratie findet nicht im Ausland statt, sondern innerhalb unserer Landesgrenzen!

Und genau deshalb braucht es wieder eine starke Friedensbewegung. Die Menschen sollten sich nicht ins Bockshorn jagen lassen von den Salonintellektuellen, die von „Lumpenpazifisten“ reden und auch nicht davon, als „gefallene Engel“ bezeichnet zu werden! Es gibt in der Geschichte genug Figuren, die bewiesen haben, dass Gewaltfreiheit, intelligentes Selber-Denken und Mut, sich dem entgegenzustellen, was man mit dem eigenen Gewissen nicht vereinbaren kann, letztlich zu besseren Lösungen geführt hat als das Kriegsgeschrei derjenigen, die sich stets auf der moralisch richtigen Seite wähnen.

Ich hätte ehrlich nie gedacht, dass ausgerechnet in unserem Land die Hardliner und Scharfmacher soviel Gehör finden! Vielleicht liegt ein Grund darin, dass vielen von denen aufgrund ihres Alters – oder besser gesagt: aufgrund ihrer Jugend – die eigene Erfahrung fehlt, was Krieg bedeutet. Das ist keine aseptische Joystickoperation, die punktgenau militärische Ziele ohne Menschen trifft. Krieg – ganz gleich welcher – ist Barbarei. Krieg ist das Kriegsverbrechen!

Ich würde mir wünschen, dass junge Menschen, die mit ihrem Engagement gegen den Klima- wandel Gesellschaften weltweit aufgerüttelt haben, das Thema ‚Frieden‘ entdecken und sich dafür mit der gleichen Kraft einsetzen. Über die Meinungen, wie man das dann konkret im Einzelnen macht, darf und muss gestritten werden. Aber doch angstfrei und respektvoll. Und natürlich faktenbasiert – denn Propaganda können sie alle! Das ist kein Privileg Moskaus!

Ich weiß nicht, wer hier alles auf dem Platz steht. Ich kann mir gut vorstellen, dass einige da- runter sind, mit deren politischen Überzeugungen ich nicht einverstanden bin. Aber soll ich mich deshalb davon abhalten lassen, hier zu reden? Wie dumm wäre das denn?! Der Kabarettist Andreas Rebers, hat einmal gesagt: „Wenn ich etwas Richtiges sage, was den falschen Leuten gefällt, dann wird das Richtige dadurch nicht automatisch falsch!“

Menschen, die sich wehren, müssen mutiger werden. Mutig in dem Sinne, dass sie gegen all das argumentieren können, was in unserem demokratischen System nichts zu suchen hat. Es wird Zeit, dass der Kampf um Frieden und politische Pläne – nicht militärtaktische! – in die Mitte der Gesellschaft zurückkehrt und nicht an irgendwelche Ränder abgedrängt wird! Was die Bürger der DDR damals geschafft haben, das sollten wir im vereinten Deutschland doch vielleicht auch hinkriegen: Auf friedliche Weise den politisch Verantwortlichen klarmachen, dass dieses Konfrontationsdenken in die Sackgasse führt. Das hatten wir doch alles schon mal!

Und ich möchte mich nicht auf das Glück verlassen, das wir im Kalten Krieg mehrfach hatten: das Glück, mit dem uns ein heißer Krieg erspart geblieben ist! Den Druck von unten, den sollte man nicht geringschätzen. Michail Gorbatschow, der Architekt von Entspannung und Abrüstung – und der Mann, dem wir im Wesentlichen die deutsche Vereinigung zu verdanken haben; das vergisst man alles so schnell! – hat immer wieder die Rolle der Öffentlichkeit betont: „Die Stimme der Friedensbewegung gegen Krieg und Atomwaffen war eine starke. Und diese Stimme wurde gehört!“ Und dann – ist alles zu selbstverständlich geworden …

Das Brandenburger Tor hier ist ein guter Ort um sich der Verantwortung bewusst zu sein oder bewusst zu werden, die man als sogenannt ‚mündiger Bürger‘ in einem demokratisch verfassten Staat hat. Mündige Bürger sind nämlich systemrelevant! Sie müssen so gut wie möglich Bescheid wissen. Sie müssen Stellung beziehen, also entscheiden. Sie müssen die Konsequenzen ihrer Entscheidung überblicken und dafür dann auch die Verantwortung übernehmen. Das ist eigentlich simpel, aber irgendwie aus dem Blickfeld geraten!

Es ist an der Zeit, dass die schweigende Mehrheit sieht, wie wichtig es ist, sich zu Wort zu melden, sich nicht mundtot machen zu lassen und sich mit aller Kraft dafür einzusetzen, was bislang bei uns selbstverständlich schien:

Frieden!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.