Rede Friedensdemonstration am 25. November 2023
Berlin, Brandenburger Tor
Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde!
In der Geschichte der Menschheit gibt es immer wieder Zeiten, in denen Mut und Engagement besonders gefordert sind. So auch heute und hier. Und richtig ist auch: Wir müssen noch viele mehr werden, die sich für den Frieden einsetzen statt einer Kriegslogik zu folgen. Die neue Militarisierung der Welt muss gestoppt werden.
Wir leben heute in dem gefährlichsten Jahrzehnt seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Wir leben in einer Zeit, in der die doppelte Gefahr der Selbstvernichtung unserer Zivilisation immer größer wird: die Kriegsgefahr und die Klimakrise. Es droht ein Jahrhundert neuer Gewalt und erbitterter Verteilungskämpfe. Deshalb dürfen wir die Zukunft nicht den Militärs und auch nicht kriegswilligen Politikern überlassen.
Wir verurteilen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, wir verurteilen Gewalt und Terror im Nahen Osten. Mehr noch: Aus diesen Kriegen ist längst ein Weltordnungskrieg geworden mit katastrophalen Folgen. Wir sind hier, weil wir Frieden wollen und keine Weltordnungskrieg – zwischen Nord und Süd, Ökonomie und Ökologie, Arm und Reich. Auch deshalb sagen wir Nein zu Aufrüstung und immer mehr Waffenlieferungen
Wir erinnern an Berta von Suttner: Keinem vernünftigen Menschen würde es einfallen, Tintenflecken mit Tinte oder Ölflecken mit Öl wegwischen zu wollen. Aber Blut soll mit Blut abgewaschen werden. Nein! Wir sind hier, weil wir nicht wollen, dass unser Land kriegstüchtig gemacht werden soll. Unser Land muss friedensfähig sein. Wir sagen NEIN zur Militarisierung der Politik.
Wir sind hier, weil es keinen Grund gibt, sich von der Friedens- und Entspannungspolitik zu distanzieren. Das Gegenteil ist richtig: Die Friedenspolitik bleibt richtig und sie muss weiterentwickelt werden. Wir wollen für das friedliche Zusammenleben der Menschheit eine gemeinsame Sicherheit und Nachhaltigkeit. Beides gehört zusammen und ist nur zusammen zu erreichen. Und beides ist heute wichtiger denn je, auch um den Krieg gegen die Natur zu beenden.
Wir sind hier, weil wir alle Kriege verurteilen, Krieg ist immer falsch und unmenschlich. Das letzte Jahrhundert war ein Jahrhundert der Extreme mit rd. 80 Mio. Kriegstoten in den beiden Weltkriegen. Das zeigt in aller Deutlichkeit: Kriege darf es nicht mehr geben, im Atomzeitalter schon gar nicht.
Das Wichtigste, was in der veröffentlichten Debatte viel zu kurz kommt, ist: Wir sind hier, weil das Töten und das Leid der Menschen beendet werden muss, die wahnwitzige Zerstörung der Städte, Dörfer und der Natur. Seit Beginn des Krieges sind nach verschiedenen Schätzungen allein in der Ukraine bereits mehr als 500.000 Soldaten und Soldatinnen getötet oder schwer verletzt worden. Kriege sind Verbrechen. Die Wahrheit werden wir, wenn überhaupt, erst nach einem Ende des Krieges erfahren. Bis dahin gibt es vor allem Lügen.
Wir sind auch hier, weil die Eskalationsdynamik der Kriege gestoppt werden muss. Kriege, das kennen wir von Clausewitz, kennen keine Grenzen in sich. Die Gefahr wächst, dass der Krieg in der Ukraine entweder mit der immer weiteren Lieferung schwerer Waffen zu einem Krieg mit der Nato wird und dann sogar zu einem Atomkrieg. Warum wird das verdrängt?
Wir müssen den Konformismus in der veröffentlichten Meinung kritisieren, dürfen ihn nicht hinnehmen, denn die Demokratie braucht den Diskurs. Doch was ist das für eine Zeit, in der die Friedensbewegung als „5. Kolonne Moskaus“ diffamiert wird, aber die in den Medien gefeiert werden, die „zu den Waffen“ rufen. Egon Bahr würde sagen: eine Krise des Gehirns.
Der Krieg in der Ukraine darf nicht zu einem Krieg bis zur Erschöpfung werden, in dem, wie die schreckliche Wahrheit ist, eine ganze Generation ausblutet. Und erneut trifft der Krieg in erster Linie sozial schwache Schichten
- vor allem In der Ukraine,
- in Russland, wo viele Soldaten aus den Regionen stammen, in denen das Monatseinkommen bei nur 200 Euro liegt;
- und weltweit, weil nach Angaben der UNO 1,6 Mrd. Menschen von der Energie- und Ernährungskrise, die der Krieg ausgelöst hat, betroffen sind.
Vor allem kritisieren wir: Die Diplomatie, die Suche nach Wegen zum Frieden, kommt zu kurz. Wir fragen: Was ist am 29. März 2022 passiert, als die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul schon weit fortgeschritten waren, aber es in Kiew zu Interventionen von Großbritannien und den USA kam?
Die Menschen haben den Krieg satt. Wir fragen, warum wurden die Friedensvorschläge Chinas, des Vatikans oder von UN-Generalsekretär Antonio Guterres nicht aufgegriffen? Mehr noch: wo bleibt der deutsche Vorschlag – möglichst in Abstimmung mit Frankreich und mit Hilfe von China, Indien, Brasilien oder Südafrika – für einen Friedensvertrag? Herr Bundeskanzler, das erwarten wir von Ihnen, von Frau Baerbock erwarten wir das nicht, im Gegenteil: Von ihr wird nichts kommen außer immer neuen „Frontbesuchen“, die nichts bewirken. Unsere Frage heißt: Was tut unser Land, die Kriegslogik zu beenden?
Der große Dichter Paul Celan nannte Deutschland im letzten Jahrhundert einen Großmeister des Todes. Wir wollen, dass unser Land in diesem Jahrhundert zu einem Großmeister des Friedens wird.
Wir sagen Nein zur Aufrüstung. Mit 2,3 Billionen Dollar erreichen die weltweiten Rüstungsausgaben eine neue Rekordhöhe. Was ist das für eine Perversion, dass 75 Prozent davon auf nur zehn Länder entfallen. Wer will wirklich, dass Deutschland in Europa zum Land mit den höchsten Militärausgaben wird? Angesichts der ungelösten globalen Probleme wächst so die Gefahr neuer Kriege. Auf jeden Fall wird viel Geld verbrannt, dass für soziale und ökologische Aufgaben fehlt.
Deshalb sagen wir auch Nein sagen zum Konzept „Nato 2030“, also zu einer globalen Nato, bei der es letztlich um die wirtschaftliche Dominanz und die Absicherung von Profitinteressen auf den Weltmärkten und um einen neuen kalten Krieg mit China geht. Und im Schatten der Kriege verstärkt sich auch wieder die atomare Aufrüstung. Allein die USA haben im letzten Jahr fast 45 Mrd. Dollar dafür ausgegeben, dazu zählt auch die Entwicklung von Mini-Nukes. Diese „kleinen Atombomben“ würden die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen senken.
Dabei wissen wir, was zu tun ist. Unsere Welt braucht mehr Kooperation und gemeinsame Sicherheit. Unsere Zeit ist auf Gegenseitigkeit angewiesen, denn wir haben es mit globalen Herausforderungen zu tun, insbesondere mit der Klimakrise und der Erschöpfung natürlicher Ressourcen. Die Zerstörung der Natur riecht nach Krieg, auch deshalb lehnen wir die Militarisierung der Welt ab.
Bei der Klimakrise läuft uns die Zeit davon, die globale Erderwärmung um 1,5 Grad ist schon nicht mehr zu verhindern, der entsprechende Anstieg der Treibhausgase wird schon gemessen. Und dann werden die dramatischen Kipppunkte im Erdsystem erreicht, die die Folgen des ökologischen Kolonialismus beschleunigen und unwiderruflich machen. Die Zeit läuft uns davon. Die Klimakrise kann aber nicht ohne China und Russland bewältigt werden. Wir brauchen die globale Zusammenarbeit.
Eine Anmerkung muss ich noch machen. Ich bin Vorsitzender der NaturFreunde. Zu uns gehörten auch die großartigen Georg Elser, der 1939 das erste Attentat auf Hitler verübt hat, um den Zweiten Weltkrieg zu stoppen, und Willy Brandt, der Friedensnobelpreisträger. Beide wollten mehr Demokratie, mehr soziale Gerechtigkeit und Frieden. Die Friedensbewegung ist nicht rechts offen. Sie standen und stehen gegen völkisches Denken und Rassismus. Wir wissen: die beiden Weltkriege sind von rechts gekommen. Auch heute sagen wir Nein zu Antisemitismus und Nationalismus. Wie von Willy Brandt gefordert wollen wir, dass Frieden und unser Land in einem Atemzug genannt werden. Gerade auch heute.