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Andrea Hornung ***
Friedensratschlag in Kassel am 8. und 9. November 2025 – Redemanuskript Workshop

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1. Die Lage der Jugend

 
Andrea Hornung während ihrer Rede am 3. Oktober 2025 in BerlinWenn wir darüber diskutieren wollen, wie wir Eigendynamiken Jugendlicher stärken können, müssen wir uns zunächst mit der Lage der Jugend auseinandersetzen: Jeder vierte Jugendliche ist von Armut bedroht, die Angriffe aufs Bürgergeld, die Sanktionen betreffen Kinder und Jugendliche besonders oft. Wir lernen in Schulen, die oft völlig kaputt sind, mit Lehrkräftemangel. In Frankfurt lernen Schüler in einer Schule, die mit 500 Metallstützen abgestützt wird – und das ist keine Ausnahme. Wir können feststellen, dass jedes Jahr mehr Jugendliche ohne Ausbildung bleiben, insbesondere diejenigen mit Haupt- und Realschulabschluss – und diejenigen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, das sind über 7% der Jugendlichen. Nur noch jeder fünfte Betrieb bildet überhaupt aus. Die Jugendarbeitslosigkeit ist seit 2022 um 40% gestiegen, der massive Stellenabbau trifft Jugendliche zuerst: Weil wir die ersten sind, denen gekündigt wird und weil wir einfach keine Stellen mehr finden. Für die Jugendlichen, die eine Ausbildung bekommen, stehen unsichere Übernahme, Ausbildungsvergütungen, die nicht zum Leben reichen, und ausbildungsfremde Tätigkeiten auf der Tagesordnung. Der Erzählung von den angeblich faulen Jugendlichen steht die Realität gegenüber, dass (unbezahlte) Überstunden zunehmen und Jugendliche häufiger in prekären und schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen arbeiten – insbesondere in Berufen mit hohem Frauenanteil. Mehr als die Hälfte der Studierenden muss nebenbei arbeiten, weil sie keinen Bafög-Anspruch haben oder das Bafög nicht ausreicht. Jugendliche wohnen immer länger bei ihren Eltern, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können. Und während wir keine Ausbildungsplätze bekommen und die Jugendarbeitslosigkeit steigt, erzählt man uns das Märchen vom Fachkräftemangel. Die Ursache für tatsächlich fehlende Fachkräfte liegt überwiegend in schlechten Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung sowie in mangelnder Ausbildung. Die Bundeswehr nutzt diese geschaffene Perspektivlosigkeit aus und präsentiert sich Jugendlichen, als sicherer Arbeitgeber mit gutem Gehalt – dort kann man ohne NC und bezahlt studieren, muss sich aber für bis zu 17 Jahre verpflichten, dort bekommt man beim Freiwilligenprogramm „Dein Jahr für Deutschland“ das vierfache an Geld im Vergleich zum Freiwilligen Sozialen Jahr. Dafür wirbt die Bundeswehr immer stärker auf Berufsmessen und direkt an Schulen. Gleichzeitig werden Zivilklauseln angegriffen, in Bayern wurden sie mit dem Bundeswehrgesetz verboten und Schulen zur Kooperation mit der Bundeswehr gezwungen. Palästina-Solidarität wird auch an Schulen verfolgt. Durch Kürzungen werden uns die wenigen noch bestehenden einigermaßen bezahlbaren Freizeitmöglichkeiten wie bspw. Schwimmbäder, Sportvereine und Jugendzentren genommen. Freizeitgestaltung wird immer weiter kommerzialisiert. Die schlechter werdende Situation der Jugend drückt sich auch in der deutlich anwachsenden Zahl an psychischen Krankheiten aus: Jede*r fünfte Schüler*in hat psychische Probleme. Und: Ohnmacht und Resignation macht sich breit. Wir kennen nur die Situation nach der Agenda 2010, nachdem die Bundeswehr sich wieder an Angriffskriegen in aller Welt beteiligt, kennen kaum größere Antikriegsbewegungen.

Alle diese Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen der Jugend in unserem Land stehen in direktem Zusammenhang mit der ungebremsten Aufrüstung und Militarisierung: Jeder Euro, der in Aufrüstung fließt, fehlt an andere Stelle. Wer unbegrenzte Kriegskredite beschließt, der muss an anderer Stelle massiv sparen. Diese Entwicklung betrifft die übergroße Mehrheit der Bevölkerung. Wir können aber feststellen: Jugendliche trifft Militarisierung und Sozialabbau besonders hart.
 

2. Die Rolle und Funktion des „neuen Wehrdienst“

 
Dass die Jugend besonders betroffen ist, das gilt auch für die Wiedereinführung der Wehrpflicht, das gilt für die 18-jährigen, die den Kriegsdienst ableisten sollen. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Jugendlichen die Wehrpflicht ablehnt, auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung die Wehrpflicht insgesamt unterstützt.

Der Gesetzesentwurf zum „neuen Wehrdienst“ sieht bisher vor, dass alle 18-Jährigen eines Jahrgangs ab Januar 2026 einen Fragebogen zugesendet bekommen. Alle männlichen Jugendlichen sind verpflichtet diesen Fragebogen auszufüllen und können auf Grundlage der Angaben zur Musterung einberufen werden. Abgefragt werden soll neben der körperlichen Verfasstheit auch die Bereitschaft, Wehrdienst abzuleisten. Damit sollen regelmäßige Stimmungsbilder innerhalb der Jugend erfassen und ihre Propaganda besser anpassen und ausrichten können. Ab Juli 2027 sollen verpflichtende Musterungen hinzukommen. Mittlerweile werden weiter Formen wie ein Losverfahren, Freiheitsdienst oder verpflichtendes Gesellschaftsjahr diskutiert. Dass es am Ende um die Wiedereinführung des Kriegsdienstes geht, machte der Bundeskanzler mit seiner Aussage deutlich: „Es wird bei Freiwilligkeit allein nicht bleiben.“

Der Fragebogen wird im nächsten Jahr durch bis zu 350.000 Jugendliche verpflichtend auszufüllen sein. Davon sollen erstmal 5.000 Jugendliche die Bundeswehr erreichen. Diese Kennzahl kann zu einem späteren Zeitpunkt erhöht werden. Bei Nichterreichung kann sie als Vorwand dienen, um die Wehrpflicht auszuweiten und in einen allgemeinen Zwangsdienst umzuwandeln. Mit der Wehrpflicht werden Bundeswehr und Reservist*innen zahlenmäßig gestärkt. Ziel ist es bis 2030, bis zu 460.000 Soldat*innen zur Verfügung zu haben, darunter 200.000 aktive Reservist*innen. In diesem Zuge plant das Ministerium unter anderem den Ausbau von Karrierecentren. Die Bauprojekte der Bundeswehr haben in Städten besondere Priorität, weshalb andere Infrastrukturprojekte nach hinten verschoben werden. Die Wehrpflicht wird Jugendlichen eine relevante Zeit ihres Lebens nehmen – erstmal sechs Monate, über das wir nicht länger selbst entscheiden dürfen. Was das bedeutet, ist auch gestern auf dem Podium schon klar geworden: Wir sollen in Kasernen zu Drill und Gehorsam erzogen und „kriegstüchtig“ gemacht werden – in einer Institution, in der sich „Skandale“ wie Mobbing, sexualisierte Gewalt und faschistische Netzwerke häufen und viele psychische Probleme davontragen. Die Bundeswehr ist kein Abenteuer.

Unter anderem wird das Anwachsen der Bundeswehr damit begründet, dass Russland eine Gefahr für Deutschland darstelle und wir uns deshalb auf einen möglichen Krieg mit Russland vorbereiten müssten. Ein zentraler Bestandteil dieser Argumentation ist die Bedrohungslüge, die hier am Wochenende schon mehrfach erwähnt wurde: Die tatsächlichen Kräfteverhältnisse zwischen NATO und Russland werden verschleiert und damit verschwiegen, dass die NATO Russland in fast allen militärischen Bereichen deutlich überlegen ist. Es wird ein Sanktionspaket nach dem nächsten beschlossen, der „Kampf der Demokratien gegen die Autokratien“ beschworen und Russland zu einer willkürlich barbarischen Angriffsmaschine stilisiert. Mit dem Anwachsen der Truppenstärke werden die Voraussetzungen für das Führen eines großen Krieges geschaffen, bei der die NATO mit bis zu 5000 Toten Soldat*innen pro Tag rechnet. Mit der Wehrpflicht geht es darum, die Bundeswehr in die Mitte der Gesellschaft zu rücken, die Jugend und die Gesellschaft insgesamt zu militarisieren, es geht darum mehr Jugendliche für die Berufsarmee zu gewinnen und Kanonenfutter für einen großen Krieg vorzuhalten.

Parallel läuft die Diskussion um die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahres, die der aktuell durch die Grünen wieder stärker in die Diskussion gebracht wird. Vorgeschlagen wird ein Dienst von 9-12 Monaten, bei der Bundeswehr oder in sozialen und ökologischen Projekten. Das wird auch damit begründet, dass die sozialen Bereiche unterbesetzt sind. Aber: Die Wiedereinführung von sozialen oder anderen Ersatzdiensten verbessert die Situation in den unterbesetzten Bereichen nicht. Denn statt qualifizierten Fachkräften werden Ungelernte eingestellt. Für uns Jugendliche bedeutet das, als billige Arbeitskräfte und unter miesen Arbeitsbedingungen zu arbeiten. Gleichzeitig werden zwangsverpflichtete Jugendliche als Lohndrücker gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen ausgenutzt.

Wir stellen also fest: Die Wehrpflicht ist zentraler Bestandteil der Kriegsvorbereitungen.
 

3. Die Rolle des Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus für Krieg und Krise

 
Jetzt möchte ich noch zu meinem dritten Punkt, zum Hintergrund der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung kommen. Schon der Gewerkschafter Jaurés wusste: Der Krieg trägt den Kapitalismus in sich, wie die Wolke den Regen. Das ist es, was wir gerade erleben. Deutschland sieht an der Seite der NATO-Staaten die eigenen Absatzsmärkte und Einflusssphären bedroht. Deshalb wird ein Krieg gegen die Konkurrenten China und Russland vorbereitet. Ich muss hier nicht erzählen, wie massiv der deutsche Imperialismus aufrüstet: 5% des BIP, das ist fast jeder zweite Euro des Bundeshaushalts, der in Aufrüstung und Krieg fließen soll. US-Mittelstreckenraketen sollen in Deutschland stationiert werden, die Wehrpflicht soll wieder eingeführt werden, der Krieg gegen Russland wird geübt. Darüber hinaus liefert Deutschland Waffen nach Israel, unterstützt den Genozid in Palästina und die Überfälle Israels auf Syrien, Iran, Libanon und Jemen.

Um die eigene internationale Position zu verbessern und die Mittel für die Aufrüstung frei zu machen, wird der Klassenkampf von oben in Deutschland intensiviert. Deshalb werden massiv Stellen abgebaut. Deshalb steht uns ein umfassender Sozialabbau bevor, der die Agenda 2010, den bisher größten Angriff auf die Arbeiterklasse seit 1945, noch weit übersteigen wird. Das bedeutet eine weitere Verarmung der Mehrheit der Bevölkerung, sinkende Reallöhne, Druck auf Tarifverträge, Angriffe auf das „Normalarbeitsverhältnis“ und den 8h-Tag, Einführung von Karenztagen und weitere Angriffe aufs Bürgergeld – wovon, wie ich eingangs sagte, Jugendliche besonders betroffen sind.

Parallel wird die Umwelt immer weiter zerstört: Deutschland verfehlt die selbstgesetzten Klima-Ziele deutlich, das 1,5-Grad-Ziel wurde 2024 erstmals überschritten. Das wird Konflikte und Kriege verschärfen und ausweiten sowie Fluchtbewegungen noch weiter stark ansteigen lassen.

Dass all diese Probleme und Entwicklungen aber eine gemeinsame Ursache haben, ermöglicht uns auch, den gemeinsamen Kampf dagegen zu führen, den Kampf gegen den Krieg auch als Kampf um die soziale Frage zu führen. Klar ist aus meiner Sicht: Die stärkere Verletzung der Interessen der Arbeiterklasse, der Mehrheit der Bevölkerung wird weitere Unzufriedenheit und Protestpotenzial hervorbringen. Daran müssen wir anknüpfen.

Wir stellen fest: Der Kapitalismus bringt Krieg, Krise und Umweltkatastrophe hervor.

Folglich können wir aus dem Gesagten drei Punkte ableiten, über die wir nun gerne diskutieren können, bevor wir dann nach einem zweiten Input gern über die konkrete, praktische Arbeit sprechen wollen. Die Annahmen lauten:

Annahme 1:  Jugendliche trifft Militarisierung und Sozialabbau besonders hart.

Annahme 2: Die Wehrpflicht ist zentraler Bestandteil der Kriegsvorbereitungen.

Annahme 3: Der Kapitalismus bringt Krieg, Krise und Umweltkatastrophe hervor.

 


 

*** Andrea Hornung ist Bundesvorsitzende der SDAJ und Mitglied der Initiative ‚Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!‘